Principia
wenigen Stunden, Mylady, meine Prinzessin.«
»Und -?«
» My lover.«
»Gehab dich wohl auf deinem geheimnisvollen Gang – mai laffer .«
»Ach, es ist nichts – bloß ein unter Schlaflosigkeit leidender Engländer, der walkies unternehmen möchte.«
»Wo-kies?«, wiederholte Caroline. Aber Johann hatte das schwierige Wort über die Schulter geworfen, während er ein eisernes Tor aufklinkte und auf eine Allee des großen Gartens hinaustrat. Alles, was sie danach hörte, war das Scheppern des zufallenden Tors und das leiser werdende Knirschen von Johanns Stiefeln auf dem Kiesweg. Dann war sie allein unter den gewundenen Ästen des Teufelsbaums.
Sie hatte Johann nicht gesagt, dass es sich um den Ort handelte, an dem Sophie gestorben war. Sie hatte befürchtet, dass der Gedanke daran ihn weniger liebesbrünstig stimmen würde. Vielleicht hätte sie sich auch keine Gedanken darum machen müssen, denn nichts schien Männer seines Alters (er war vierundzwanzig) weniger liebesbrünstig zu stimmen. Was sie selbst anging, so hatte sie den Tod ihres Vaters, ihrer Mutter, ihres Stiefvaters, dessen schrecklicher Mätresse, ihrer Adoptivmutter (Sophie Charlotte) und nun Sophies erlebt. Tod und Krankheit stimmten sie nur noch liebesbrünstiger – darauf bedacht, das Schlimme im Leben zu vergessen und einen schönen Körper zu genießen, solange er schön war.
Nun hörte sie deutlich ein anderes Knirschen von Kies. Es schien von einem der Wegdreiecke zu kommen, die das Areal begrenzten, auf dem in seinem eisernen Käfig der Teufelsbaum wuchs. Ihre Hoffnung, dass Johann zurückgekehrt sei, verflüchtigte sich, da dem ersten Knirschen kein zweites folgte. Nach ziemlich langer Zeit hörte sie dann doch ein zweites, aber es war schwach und zog sich in die Länge, als würde ganz vorsichtig ein Fuß niedergesetzt. Dem Geräusch folgte ein »Schsch!«, das so deutlich zu hören war, dass sie sich suchend umblickte.
Jeder, auf den es ankam, wusste, dass Carolines Ehemann eine Mätresse namens Henrietta Braithwaite hatte, und jeder, der sich die Mühe machte herumzufragen, konnte herausfinden, dass Caroline ihren Jean-Jacques (der Kosename, den sie anstelle von Johann benutzte) hatte. Als Schauplatz von Stelldicheins, Intrigen und Umhergeschleiche auf Zehenspitzen kam der große Garten fast an das Niveau von Versailles heran. Es war demnach nicht so, dass Caroline hier ein großes Geheimnis zu wahren gehabt hätte. Wegen Lauschern machte sie sich keine Gedanken. Natürlich gab es Lauscher. Es handelte sich hier eher um eine Frage der Etikette. Denn dass solche Personen einander nur wenige Ellen entfernt Schweigen heischend anzischten, war genau so, als würden sie bei Tisch furzen. Caroline holte tief Luft und ließ einen scharfen Seufzer vom Stapel. Das müsste eigentlich reichen!
Aber sie sollte nie erfahren, ob die Botschaft angekommen war, denn nun übertönten eiserne Radreifen und die Hufe eines vierköpfigen Gespanns alles andere. Das Gespann kam ihres Weges, und die Pferde schnauften, als wären sie sehr müde. Hatte man sie die ganze Nacht angetrieben? Wenn ja, waren sie nicht die einzigen erschöpften Pferde hier. Der Adel Europas kam in Herrenhausen zusammen und nahm Sophies Beisetzung zum Vorwand, ein Treffen der größten, bizarrsten, gewalttätigsten und inzestuös versipptesten Familie der Welt zu inszenieren. Wegen all der nächtlichen Ankömmlinge hatte Caroline vergangene Nacht kaum schlafen können.
Sie stand von der Bank auf. Durch die Äste des Baums hindurch erblickte sie flüchtig zwei verschwommene, gelbbraune Formen, die den Weg entlangsprangen. »Scylla! Charybdis!«, rief eine barsche Stimme, und sie blieben stehen.
Als Caroline von der Bank wegtrat und sich unter einem tief hängenden Zweig hindurchduckte, sah sie zwei große, hechelnde und geifernde Hunde. Da der Zaun sie vor ihnen schützte, hielt sie es nicht für riskant, sich näher heranzuwagen, und suchte sich einen Weg über Teufelsbaum-Äste, die sich über den Boden schlängelten, außerstande zu entscheiden, ob es sich um Wurzeln, Zweige oder Ranken handelte. Den Weg entlang kam das Gespann – vier Rotfüchse – und dahinter eine schwarze Kutsche, die einmal geglänzt hatte, nun aber ganz und gar staubig war. Von den Rädern ausgehende Schlammkometen zogen sich über das polierte Holz. Trotzdem konnte sie das Wappen auf dem Schlag erkennen: die Negerköpfe und Lilien des Hauses Arcachon mit der grauen Zinne des Herzogtums Qwghlm als
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