Principia
Beiwerk. Darüber ein offenes Fenster. Von diesem gerahmt ein Gesicht, das demjenigen, das sie vor einigen Minuten geküsst hatte, auffallend ähnlich war – allerdings ohne die Borsten.
»Eliza!«
»Halte hier an, Martin.«
Elizas Gesicht wurde nun von einem Büschel Blätter verdeckt, doch Caroline hörte ihrer Stimme das Lächeln an. Martin – offenbar der Kutscher – zügelte das Gespann. Der Gang der Tiere verlangsamte sich, sie kamen allmählich zum Stehen und fingen dabei den Schwung der Kutsche mit den um ihr Hinterteil geführten Aufhalteriemen ab.
Caroline war unterdessen bis an den schmiedeeisernen Zaun vorgerückt. Dort hatte man den Teufelsbaum zurückgeschnitten, sodass ein von Bewuchs freier Streifen entstanden war, auf dem die Gärtner sich an der Umzäunung entlangbewegen konnten. Caroline eilte einige Ellen weit daran entlang und ließ dabei die Hand über die Eisenstangen gleiten, falls ihr Kleidersaum sich an einem Strauch verfing und sie ins Stolpern brachte.
Zwei Lakaien waren von ihrem Platz am Heck der Kutsche herabgestiegen, mit Bewegungen, als wären ihre Arme und Beine geschient. Wer weiß, wie lange sie, mit steif werdenden Händen verzweifelt angeklammert, dort gestanden hatten. Eliza verlor die Geduld mit ihnen und stieß den Schlag auf. Seine Kante riss einem Lakaien fast die Nase ab. Er fing sich rechtzeitig wieder, um einen winzigen, tragbaren Tritt auf den Boden stellen und der Herzogin von Arcachon-Qwghlm aus der Kutsche helfen zu können – obschon keineswegs so deutlich war, wer eigentlich wem half. Die Mastiffs Scylla und Charybdis waren im Bogen zurückgekommen. Sie hatten den Blick auf Eliza und den Hintern auf den Weg geheftet, wo sie mit dem Schwanz säuberliche Quadranten kiesfrei wedelten.
Eliza trug – dem traurigen Anlass wie der strapaziösen Reise angemessen – ein strenges, dunkles Kleid und auf dem Kopf ein schwarzes Seidentuch. Sie war Mitte vierzig, und falls sie grau zu werden begann, so war das nicht leicht zu erkennen, da sie von vornherein hellblond gewesen war. Ein aufmerksamer Beobachter – und davon hatte die Herzogin viele – könnte sich einbilden, dass dem Gold mittlerweile ein kleiner Anteil Silber beigemischt war. Die Haut um ihre Augen und ihre Mundwinkel verriet ihr Alter.
Die Zahl ihrer männlichen Bewunderer hatte im Laufe der Jahre nicht abgenommen, aber sie waren inzwischen von anderer Art. Als sie eine begehrte Mademoiselle in Versailles gewesen war, hatte der König ein Auge auf sie geworfen, und eine Horde lustblinder Stutzer hatte ihr nachgestellt. Nun, nachdem sie Ehe, Mutterschaft, Pocken und Witwenschaft hinter sich gebracht hatte, war sie die Art von Frau, über die bedeutende Männer in den Vierzigern, Fünfzigern oder Sechzigern in stillen Ecken von Clubs und Salons ständig sprachen. Ab und zu nahm einer davon all seinen Mut zusammen, machte einen Ausfall aus seiner Redoute und kaufte ihr ein château oder sonst etwas, nur um dann stets den Rückzug antreten zu müssen, geschlagen, aber nicht gedemütigt, ehrenvoll verwundet und mit gemehrtem Ruf, umlagert von anderen Gentlemen, die unbedingt wissen wollten, was passiert sei. Von einer Dame verschmäht zu werden, die Gerüchten zufolge mit dem Herzog von Monmouth, Wilhelm von Oranien und Ludwig XIV. ins Bett gegangen war, hieß, mit diesen legendären Gestalten in eine Art von Verbindung zu treten.
Was für Caroline natürlich überhaupt keine Rolle spielte, da Eliza niemals davon sprach, und wenn die beiden zusammen waren, so war es für keine von Belang. Doch wenn sie sich in Gesellschaft anderer aufhielten – was den größten Teil des Tages der Fall sein würde -, musste sie es sich bewusst in Erinnerung rufen. Für Caroline war Elizas Ruf nichts, für andere jedoch war er alles.
»Ich gehe mit Ihrer Königlichen Hoheit im Garten spazieren, Martin«, rief Eliza. »Fahr zu den Stallungen, versorge die Tiere und versorge dich selbst.«
Für Damen von Elizas Stand war es nicht ganz üblich, sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen; aber sie interessierte sich sehr für Details und wenig für den gesellschaftlichen Rang. Falls Martin überrascht war, so zeigte er es nicht. »Mylady«, antwortete er ruhig.
»Unsere Knechte und Stallburschen werden sich um die Tiere kümmern – du kannst ihnen sagen, dass ich das gesagt habe«, sagte Caroline. »Kümmere du dich um dich selbst, Martin.«
»Eure Königliche Hoheit ehrt mich«, sagte Martin. Er hörte sich müde an
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