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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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selbst und Eure Whig-Hintermänner zu bereichern? Oder habt Ihr zuerst die Münzen verfälscht und dann zugelassen, dass Fälscher im Reich florieren, um so Eure Spuren zu verwischen? Sir Isaac? Sir Isaac? Nun gut, er hat offenbar völlig das Interesse verloren.«
    Tatsächlich hatte Sir Isaac das Bewusstsein verloren oder war jedenfalls kurz davor. Während der letzten Rede von Bolingbroke war er ganz allmählich erschlafft und auf den Boden der Sternkammer gesunken wie eine Kerze, die man in einen Ofen stellt. Er atmete schnell, und seine Extremitäten hatten heftig zu zittern begonnen, als litte er unter Schüttelfrost; doch die an seine Stirn gedrückten Hände spürten trockene, kühle Haut, und Daumen, die seinen pochenden Halsansatz berührten, wurden, von dem heftigen Trommelschlag seines Pulses alarmiert, zurückgezogen. Er war nicht so sehr krank, als vielmehr von einem nicht zu lösenden Krampf wilden, animalischen Grauens gepackt. »Legt ihn in meine Kutsche«, befahl Roger Comstock, »und schafft ihn in mein Haus. Miss Barton ist dort. Sie kennt ihren Onkel gut und wird sich besser um ihn kümmern als – Gott bewahre – jeder Arzt.«
    »Seht Ihr?«, meinte Bolingbroke, an Charles White gewandt, der in der Rolle des großäugigen Lehrlings, der die Geschicklichkeit des Meisters bestaunt, neben ihm stand. »Es ist nicht nötig, ihnen das Ohr abzubeißen. Ach, das ist noch gar nichts. Ich habe schon welche tot umfallen sehen. Dafür braucht man einen Apoplektiker.« Er schickte sich offenbar an, weitere derartige Ratschläge zu erteilen, doch seine Aufmerksamkeit wurde von dem Marquis von Ravenscar abgelenkt, der gelassen auf der gegenüberliegenden Seite der Kammer stand, während andere Whigs mit krummem Rücken die sehr sonderbare Arbeit verrichteten, Sir Isaac hinauszuschleppen. Ravenscar streckte eine Hand aus. Jemand legte ihm einen Spazierstock hinein. Er hob ihn. Charles White, der mit körperlicher Gewalt rechnete, trat einen halben Schritt vor, dann ging ihm auf, dass er sich lächerlich machte, und er führte die Hände vor seinem silbernen Windhund-Medaillon zusammen und kratzte sich geistesabwesend die alte Narbe eines Dolchstiches, der den Handteller komplett durchbohrt hatte. Bolingbroke hob lediglich eine Augenbraue.
    Roger Comstock hob seinen Spazierstock, bis dessen Spitze auf die sternenübersäte Decke zeigte, führte den Knauf vor sein Gesicht und ließ den Stock dann rasch herabschnellen. Es war der Salut eines Fechters: eine Geste des Respekts und ein Signal, dass als Nächstes mörderische Gewalt folgen würde. »Gehen wir in den Kit-Cat Clubb«, sagte er zu Peer und ein paar anderen Whigs, denen die Füße bisher ihren Dienst versagt hatten. »Sir Isaac benutzt meine Kutsche; aber ich habe Lust auf einen Spaziergang. Gott schütze die Königin, Mylord.«
    »Gott schütze die Königin«, sagte Henry St. John, Viscount Bolingbroke. »Und genießt Euren Spaziergang, Roger.«

Garten von Schloss Herrenhausen, Hannover
    23. JUNI (KONTINENTAL) / 12. JUNI (ENGLISCH) 1714
    »I love you.«
    »Ei loff ju.«
    »I love you.«
    »Ei luff ju.«
    »Das stimmt noch nicht ganz.«
    »Woher weißt du das? Dieses ›I love you‹ kommt mir vor wie das Geräusch, das entsteht, wenn man an einem Blech wackelt. Wie kann man mit solchen Misstönen ›Ich liebe dich‹ sagen?«
    »Von mir aus kannst du es sagen, wie du willst. Aber du musst an bestimmten Vokalen arbeiten.« Johann von Hacklheber hob den Kopf von Carolines Schoß, blieb hängen – sein Pferdeschwanz hatte sich an einem Perlmuttknopf verfangen -, befreite ihn, setzte sich auf und drehte sich dann so auf der Bank, dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. »Sieh auf meine Lippen, meine Zunge«, sagte er. »I love you.«
    An dieser Stelle endete die Englischlektion. Nicht dass die Schülerin es versäumt hatte, auf Lippen und Zunge des Lehrers zu sehen. Sie hatte es sogar höchst aufmerksam getan – aber nicht mit der Absicht, ihre Vokale zu verbessern. »Noch einmal, bitte«, bat sie, und als er die sandfarbenen Augenbrauen hochzog und den Mund öffnete, um das »I« auszusprechen, stürzte sie sich auf ihn. Seine Lippen und seine Zunge vollführten die Bewegungen für »love«, aber Caroline spürte sie mit ihren Lippen und ihrer Zunge und hörte nicht das Geringste.
    »Das war sehr viel lehrreicher«, sagte sie nach einigen Wiederholungen der Übung.
    Sein Pferdeschwanz war in Auflösung begriffen, was weitgehend ihre Schuld war, weil sie,

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