Principia
erkennen. Dann wurde ihr klar, dass sie sich auffällig verhalten hatte, und sie wandte sich wieder der anstehenden Arbeit zu: Sie fuhr mit den Fingerspitzen über das Elfenbeinwerkzeug und überprüfte es so auf raue Stellen.
»Und warum sollte ein so wohlerzogener junger Mann so mit seiner Mutter sprechen?«, fragte Caroline.
Die Herzogin beugte sich näher heran und sprach etwas leiser. Sämtliche anwesenden Damen fanden plötzlich Mittel und Wege, ihrer jeweiligen Beschäftigung in fast völligem Schweigen nachzugehen. Unter dem Vorwand, besseres Licht zu brauchen, wandte sich Henrietta Braithwaite einem Fenster zu und peilte mit einem Ohr das Ziel an.
»Es tut mir ja so leid!«, sagte die Herzogin. »Bis er es mir gesagt hat, hatte ich keine Ahnung, dass ich in meiner Dummheit gestört hatte! Ich dachte, ich hätte Euch allein im Garten angetroffen.«
»Ihr habt mich ja auch allein angetroffen – aber nur, weil er die Flucht ergriff, als er eine Kutsche hörte, denn er wusste nicht, dass Ihr es wart.«
»Wenn das nicht typisch Mutter ist! Ihren Sohn in einem solchen Augenblick zu stören! Ihr hättet mich fortjagen sollen!«
»Aber nein, seid unbesorgt!«, versicherte ihr die Prinzessin. »Wir waren ohnehin nicht wirklich allein, denn mir war, als hätte ich ein, zwei Leute umherschleichen hören.«
»Spione!?«
»Aber nein, Eliza, das ist doch kein byzantinischer, von Spionen wimmelnder Hof wie Versailles. Zweifellos handelte es sich um irgendwelche Gäste, die zur Beisetzung hier sind und einfach ihre guten Manieren vergessen hatten.«
»Das müssen diejenigen gewesen sein, die von meinen Hunden verbellt worden sind. Böse Hunde!«
»Aber nicht doch. Heute Abend, in der Dämmerung, wird Sophie hier gegenüber in Frieden ruhen. Die englische Delegation und die meisten adeligen und königlichen Besucher werden abgereist sein. Dann werden er und ich uns am selben Ort treffen wie heute Morgen und dort fortfahren, wo wir aufgehört haben.«
»Ich dachte schon, dass mein Sohn... frustriert wirkt.«
»Es ist gut, wenn Männer frustriert sind«, verkündete Caroline, »denn dann verhalten sie sich so, wie es für uns am angenehmsten ist, mit schönen Zurschaustellungen von Wagemut und Galanterie.«
Darüber dachte die Herzogin lange nach, ehe sie antwortete. »Da ist etwas Wahres dran, Eure Königliche Hoheit. Doch eines Tages, wenn wir mehr Zeit haben, erzähle ich Euch vielleicht eine Geschichte von jemandem, dessen Frustration womöglich zu gewaltig geriet.«
»Was hat er denn dann getan?«
»Sich auf eine Weise verhalten, die vielleicht ein wenig zu wagemutig und zu galant war, und das über einen zu langen Zeitraum hinweg.«
»Alles für Euch, Eliza?«
Auch das wollte überlegt sein. Eliza, die keinerlei Hemmungen gezeigt hatte, Carolines Herzensangelegenheiten vor Publikum zu besprechen, war mit einem Mal zurückhaltend. »Anfangs tat er es vielleicht tatsächlich alles für mich. Doch dann ging es immer weiter – schwer zu sagen. Er wurde reich und in gewisser Weise mächtig. Vielleicht begann er dann aus dem Wunsch heraus zu handeln, in der Welt vorwärtszukommen.«
»Er hat also aus Liebe zu Euch viele Jahre lang Taten von phantastischer Galanterie und ebensolchem Wagemut getan – und wurde dann reich und mächtig? Warum habt Ihr ihn noch nicht geheiratet?«
»Es ist kompliziert. Eines Tages werdet Ihr es verstehen.«
»Wie ich sehe, haben meine Worte Euch tief im Herzen berührt, Eliza, denn ganz plötzlich behandelt Ihr mich gönnerhaft.« Caroline sagte dies durchaus fröhlich.
»Bitte verzeiht mir, Eure Königliche Hoheit.«
Doch nun gab es kein Halten mehr.
»Ein wenig verstehe ich auch von Komplikationen – wenn auch kein Hundertstel dessen, was Ihr davon versteht – und ich weiß, dass es immer eine Möglichkeit gibt, sie zu überwinden. Liebt Ihr ihn?«
»Den Mann, von dem ich gerade gesprochen habe?«
»Sprechen wir denn noch von einem anderen?«
»Ich glaube, ich habe ihn einmal geliebt, als er nichts besaß.«
»Nichts außer Euch?«
»Außer mir, einem Schwert und einem Pferd. Erst später, als er anfing, abwegige Pläne zu schmieden, um bestimmte Dinge zu bekommen, haben wir uns zerstritten.«
»Warum sollte er sich damit beschäftigen, etwas zu bekommen, wo er doch Euch hatte?«
»Das habe ich ihm auch zu erklären versucht. In gewisser Weise hat es mich gekränkt!«
»Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was man sich erzählt, hättet Ihr mehr als genug
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