Principia
eine halbe Stunde für Euch. Wenn Ihr es vorzieht, Euch nach dem Kalender zu richten, so lautet die Antwort, ungefähr fünfundzwanzig Jahre.«
»Warum habt Ihr mich nicht in Leicester House besucht?«
»Bevor ich Eure Aufforderung erhielt , bin ich der einer anderen Dame nachgekommen«, sagte Daniel mit einem kurzen Blick zum Eingang der Kapelle, »und sie hat mich auf Trab gehalten. Ich hoffe aufrichtig, Ihr verzeiht mir meine Unhöflichkeit.«
» Welche Unhöflichkeit? Dass Ihr mich nicht besucht habt? Oder dass Ihr mich mit einer Gelegenheit verfolgt?«
»Wenn Euch das in Verlegenheit setzt, so bedenkt, dass ich als Stellvertreter des Doktors fungiere.«
»Als ich den Doktor kennenlernte, arbeitete er an einem Vorhaben: einer Windmühle, um die Bergwerke im Harz auszupumpen«, entsann sich Eliza liebevoll. »Er hoffte, sie würden dann genug Silber hervorbringen, um ihm seine Weltbibliothek nebst Logikmühle zu finanzieren.«
»Sonderbar, dass Ihr das erwähnt. Als ich ihn kennenlernte, was mindestens zehn Jahre früher geschah als bei Euch, arbeitete er an der Mühle selbst. Dann hat ihn das Kalkül abgelenkt.«
»Was ich Euch auf sanfte Weise beibringen möchte, Sir, ist, dass -«
»Die Pläne des Doktors verrückt sind? Ja, ich hatte schon verstanden, was Ihr sagen wolltet.«
»Sosehr ich den Doktor und seine Philosophie schätze, und sosehr Ihr das tut -«
»Zugestanden«, sagte der Alte mit herzlichem Lächeln, bei dem er die Lippen geschlossen hielt, um zu verbergen, was an dentalen Ruinen darunterliegen mochte.
»Wenn er das Projekt mit den Ressourcen des Zaren im Rücken nicht zum Erfolg führen kann, wozu bin ich dann gut?«
»Genau darüber möchte ich mit Euch sprechen«, begann Daniel. Doch in diesem Augenblick schwangen die Türflügel der Familienkapelle auf. Eine Gruppe von Königen, Kurfürsten und Herzögen trug Sophies Sarg heraus.
Sie stellten ihn auf eine Geschützlafette, die von einem einzigen schwarzen Pferd gezogen wurde. Sarg und Lafette setzten sich in Bewegung, gefolgt von sämtlichen Trauergästen, die körperlich in der Lage waren, Sophie auf ihrem letzten Gang zu folgen. Es bildete sich ein Trauerzug, der sich die Mittelachse des Gartens entlang auf die große Fontäne zubewegte. Daniel schlenderte am hinteren Ende des Zuges dahin. Gleich darauf fand ihn Eliza.
»Ihr habt wahrscheinlich schon vermutet«, sagte Daniel, »dass Leibnizens Abwesenheit mit der Arbeit zu tun hat, die er für den Zaren leistet. Ich glaube, dass sich der Doktor im Augenblick in St. Petersburg aufhält.«
»Dann ist keine weitere Erklärung für seine Abwesenheit erforderlich«, sagte Eliza. »Dass ihn dort eine Nachricht erreicht und er angesichts des Krieges zwischen den Russen und den Schweden die Rückreise antritt -«
»Unmöglich«, pflichtete Daniel bei. »Dabei habt Ihr noch nicht einmal die Frage angeschnitten, ob man ihn überhaupt gehen ließe.«
Kurzes Schweigen und einige Schritte auf dem Kiesweg, ehe Eliza, nun mit ganz anderer Stimme, antwortete: »Warum sollte man ihn nicht gehen lassen?«
»Der Zar ist nicht gerade für seine Geduld berühmt. Er möchte etwas sehen, was tatsächlich funktioniert.«
»Dann kann unser Freund in der Tat in ernsthaften Schwierigkeiten sein.«
»Nicht ganz so ernsthaft. Ich habe mich der Sache angenommen.«
»In London?«
»Ja. Der Marquis von Ravenscar hat Mittel zur Errichtung eines Hofes der Technologischen Wissenschaften in Clerkenwell zur Verfügung gestellt.«
»Warum?«, fragte Eliza mit scharfer Stimme und stellte so unter Beweis, dass sie den Marquis ein wenig kannte.
»Der Längengrad. Er hofft, dass die Männer, die in diesem Hof schuften, irgendeine Erfindung zur Ermittlung des Längengrades machen werden.«
»Und diese Männer sind -?«
»Die findigsten Uhrmacher, Orgelbauer, Goldschmiede, Handwerker und Hersteller von Theatermaschinen in der ganzen Christenheit.«
Der Trauerzug hatte den Platz erreicht, der die große Fontäne umgab, von der es am Abend wahrscheinlich in einer Vielzahl von Tagebüchern heißen würde, sie habe vor Kummer geheult und den Himmel mit ihren Tränen erfüllt. Langsam beschrieben die Trauernden einen Bogen um sie herum, wechselten so die Richtung und begannen dann, wieder zum Schloss zurückzutrotten. Elizas schwarze fontange nahm etwas Sprühnebel von der Fontäne auf und begann, schlaff zu werden.
»Wenn Leibniz zwischen Peter dem Großen am einen und Roger Comstock am anderen Ende festsitzt,
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