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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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verdienen können, um Euch selbst und ihn davon zu unterhalten – ah, da haben wir’s – es war männlicher Stolz, nicht wahr?«
    »Das, und das hartnäckige Verlangen, sich zu verbessern – zu beweisen, dass er meiner würdig sei, indem er mir ähnlicher wurde. Was er nicht verstand – und was ich ihm auch nicht sagen konnte -, war, dass ich ihn ebendeshalb liebte, weil er anders war als ich.«
    »Warum sagt Ihr es ihm nicht jetzt? Kommt er zur Beisetzung?«
    »O nein, nein, nein! Ihr versteht nicht, Hoheit, ich spreche nicht von Ereignissen der jüngeren Vergangenheit. Das Ganze ist dreißig Jahre her. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Und seid versichert, er kommt nicht zur Beisetzung!«
    »Dreißig Jahre.«
    »Ja.«
    »Dreißig Jahre.«
    »…«
    »DREISSIG JAHRE! Länger, als ich am Leben bin. Das ist also schon im Gange, seit ich Euch kenne!«
    »Ich würde nicht sagen, dass etwas ›im Gange‹ ist. Es handelt sich um eine längst vergessene Episode aus meiner Jugend.«
    »Ja, ich sehe wohl, wie gründlich Ihr sie vergessen habt.«
    »…«
    »Wo ist dieser Mann? In England?«
    »Zwischen zwei Menschen können Welten liegen, auch wenn beide in derselben Stadt -«
    »Er ist in London? Und Ihr habt nichts unternommen!?«
    »Eure Königliche Hoheit -«
    »Je nun, das ist ein weiterer guter Grund, warum ich dorthin gehen und Prinzessin von Wales oder womöglich gar Königin werden muss, damit ich meine monarchischen Befugnisse ausüben kann, um Euer Liebesleben zu kitten.«
    »Ich bitte Euch, keinesfalls -«, sagte die Herzogin, die zum ersten Mal völlig durcheinander wirkte. Dann verstummte sie, denn die beiden waren unterbrochen worden.
    »Die Beisetzungsfeierlichkeiten beginnen gleich, Eure Königliche Hoheit«, verkündete Henrietta Braithwaite, die zum Fenster hinaus auf eine Menschenmenge in schwarzer Wolle und schwarzer Seide schaute, welche, sich nach vorn verjüngend, dem Eingang der Familienkapelle zustrebte. Sie wandte sich der Prinzessin zu, schlug dann unterwürfig die Augen nieder und hielt das Elfenbeinwerkzeug hoch. »Es ist glatt«, fügte sie hinzu. »Seid versichert, dass Eure Königliche Hoheit, ganz gleich wie oft wir es benutzen müssen, heute Abend ausgehen können, ohne gezeichnet zu sein.«
    »Henrietta«, sagte die Prinzessin, »ohne Euch wäre mein Leben nicht dasselbe.« Eine zweideutige Feststellung – doch Mrs. Braithwaite entschied sich für die schmeichelhafteste Interpretation und antwortete mit einem Knicks und sogar mit einem Erröten.
     
    »Ich habe ein Problem, Madame«, sagte die dunkle, schlanke Gestalt, die sich schon seit einer Viertelstunde am Rand von Elizas Gesichtsfeld herumdrückte, »und Ihr habt eine Gelegenheit.«
    »Igitt, nicht schon wieder!«, sagte Eliza und wandte sich ihm endlich doch zu, um ihn zur Rede zu stellen, diesen Menschen, der ihr trotz ihrer Bemühungen, ihn in der Menge der Trauernden abzuschütteln, wie ein Doppelgänger gefolgt war.
    Sie standen außerhalb von Schloss Herrenhausen in den französischen Anlagen am Nordende des Gartens. Im Schloss befand sich eine Privatkapelle, die nicht annähernd groß genug war, um alle Trauergäste zu fassen. Der Trauergottesdienst für Sophie hatte vor einer Stunde begonnen. Caroline und andere Familienmitglieder waren in der Kapelle; die anderen verteilten sich wie ein Schwarm schwarzer Tauben auf dem weißen Kies der Wege.
    Aus dem Augenwinkel hatte Eliza schon bemerkt, dass der lästige Mensch schwarz gekleidet und dass seine Perücke weiß war, aber das galt für jeden hier anwesenden Mann. Nun, da sie ihm zum ersten Mal direkt ins Gesicht blickte, sah sie, dass die weiße Mähne zwar nicht echt, aber keineswegs Affektiertheit war. Der Mann war ziemlich alt.
    »Ich verspüre nicht einmal an den schönsten Tagen den Wunsch, von Männern mit Gelegenheiten belästigt zu werden. An einem solchen Tag -«
    »Es hat mit unserem abwesenden Freund zu tun.«
    Eliza war sich beinahe sicher, dass er von Leibniz sprach. Dieser war noch nicht eingetroffen. Die Bemerkungen, die mehrere Höflinge über seine Abwesenheit gemacht hatten, glichen Rauchfäden, die von einem tiefer liegenden Schwelbrand von Klatsch kündeten. Wer konnte dieser Mensch nur sein? Ein alter Engländer, der sie kannte und mit dem Doktor befreundet war -
    »Dr. Waterhouse.«
    Er senkte die Augenlider und verbeugte sich.
    »Wie lange ist das jetzt her -?«
    »Wenn man nach der äußeren Erscheinung geht, hundert Jahre für mich und

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