Principia
Euch, die Sonne ist seit Stunden aufgegangen!«
»Meine Frage bleibt dennoch bestehen.«
»Wisst Ihr, warum ich nach Hannover gekommen bin?«
»Jedenfalls nicht zur Beisetzung, da Sophie noch am Leben war, als Ihr hierhergekommen seid. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, habt Ihr der Delegation angehört, die Sophie den Brief überbrachte, von dem man sagt, er habe sie umgebracht.«
»Ich habe das noch niemanden sagen hören!«
»Sein Inhalt, sagt man, sei dermaßen ärgerlich gewesen, dass er die Kurfürstin auf der Stelle tot niedergestreckt habe.«
»Der Viscount Bolingbroke ist dafür bekannt, dass er eine Begabung für derlei Wortspiel hat«, überlegte Daniel, »und er hat ihn wahrscheinlich verfasst. Aber das besagt nichts. Ja, ich wurde als Alibi-Whig in die Delegation aufgenommen. Zweifellos habt Ihr meine Tory-Mitdelegierten schon kennengelernt.«
»Ich habe diese Ehre erduldet. Noch einmal, warum gehen wir zu dieser Zeit die Herrenhäuser Allee entlang?«
»Auf der Herreise von London ist mir der Gedanke gekommen, dass meine Tory-Kollegen, falls die Jakobiten tatsächlich einen Spion in Hannover haben, alle Anstrengungen machen würden, um ein Stelldichein mit ihm oder ihr zustande zu bringen. Also war ich seit unserer Ankunft auf dem Quivive – während ich zugleich das Gerücht verbreitete und die Illusion beförderte, ich wäre senil und obendrein taub. Gestern Abend, beim Essen, habe ich gehört, wie zwei Torys einem niederen Hannoveraner Adeligen Fragen gestellt haben: was das denn für ein Park sei, der sich von der Herrenhäuser Allee aus nach Norden und Westen bis ans Ufer der Leine erstrecke? Ob der Boden dort fest oder sumpfig sei? Ob es darin irgendwelche Orientierungspunkte gebe, zum Beispiel große Bäume oder -«
»Kurz vor uns auf der rechten Seite gibt es eine stattliche Eiche«, bemerkte Johann.
»Das weiß ich, denn genau davon hat dieser Hannoveraner gesprochen.«
»Ihr habt also vermutet, dass sie ein Stelldichein mit dem Spion in die Wege leiteten und sich für einen Ort entscheiden mussten. Aber wie seid Ihr auf eine so grässliche Tageszeit gekommen?«
»Die gesamte Delegation wird an der Beisetzung teilnehmen. Unmittelbar danach reisen wir nach London ab. Das war die einzig mögliche Zeit.«
»Ich hoffe, Ihr habt recht.«
»Ich weiß, dass ich recht habe.«
»Woher wisst Ihr das?«
»Ich habe den Bediensteten gesagt, dass ich zur selben Zeit geweckt werden will wie die anderen Engländer. Ein Diener hat mich im Morgengrauen geweckt.«
Damit bog Daniel Waterhouse scharf vor Johann von Hacklheber ab und zwang den Jüngeren so, seinen Schritt zu verkürzen. Daniel verließ die mittlere Straße der Allee und trat zwischen zwei der Limonenbäume hindurch, die sie von den schmaleren Wegen zu beiden Seiten abschirmten. Johann folgte ihm; und dabei warf er einen Blick die Mittelstraße entlang und sah einen einzelnen Mann zu Pferde aus Richtung Hannover herannahen.
Daniel war bereits in den angrenzenden Park hineinmarschiert und hatte einen Pfad gefunden, der sich zwischen Sträuchern und Bäumen hindurchwand. Johann folgte ihm etwa eine Minute lang, bis sein peripheres Gesichtsfeld von der Krone einer riesigen Eiche verdunkelt wurde. In einiger Entfernung hörte er Stimmen im Gespräch, freilich nicht auf Deutsch. Für ihn klang es wie ein Blech, an dem jemand wackelt.
Er stolperte beinahe über Daniel, der sich hinter einen Busch gekauert hatte. Johann folgte seinem Beispiel, dann seinem Blick. Einen Steinwurf entfernt unter den ausladenden Ästen der Eiche saßen, ihrer äußeren Anmutung nach wie Künstlermodelle, die für eine pastorale Szene posierten, drei der englischen Torys, die mit Daniel aus London gekommen waren.
»Sir, in meine Bewunderung für Eure Arbeit mischt sich Verwunderung darüber, dass ein Mann Eures Alters und Eurer Würde hier draußen solche Dinge tut.«
Daniel wandte sich ihm zu, um ihm in die Augen zu sehen; und sein gefurchtes Gesicht war im Morgenlicht ernst und ruhig. Er wirkte nicht im Entferntesten wie der vertrottelte alte Knacker, der gestern zum Essen gekommen war und die anderen Engländer in Verlegenheit gestürzt hatte, indem er sich Wein auf die Hemdbrust kleckerte.
»Hört mir zu. Ich hatte nicht den Wunsch, von Eurer Prinzessin herbeigerufen zu werden. Herbeigerufen, hatte ich nicht den Wunsch zu kommen. Aber da ich nun einmal herbeigerufen worden und gekommen bin, habe ich die Absicht, mich gut zu schlagen. So haben es
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