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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Waterhouse, zu arrangieren und ihm, falls nötig, sogar eine Kutsche voller Ärzte und Pflegerinnen zur Verfügung zu stellen. Die anderen Engländer hatten dieses Angebot hastig und unter angelegentlichem Zwinkern und Feixen angenommen – sie betrachteten es als kalkulierten Versuch irgendeines Niemands, sich in London lieb Kind zu machen.
    Mehr als die Hälfte der anderen adeligen und königlichen Trauergäste waren bereits abgereist, viele in Richtung Osten, nach Braunschweig, Brandenburg und Preußen, andere nach Orten, wo Sophie Verwandte, Freunde oder Bewunderer hatte, also in alle Himmelsrichtungen.
    Die meisten, die in Herrenhausen zurückgeblieben waren, hatten es aus einem bestimmten Grund getan. Dieser Grund war Georg Ludwig, der Kurfürst von Hannover, der endlich nicht mehr unter der Fuchtel seiner Mutter stand und nun erster Anwärter auf den britischen Thron war. Und so war die Stimmung vor Ort trotz der langen, nachmittäglichen Sonnenstunden ein wenig frostig geworden.
    Jedenfalls erschien es Baron Johann von Hacklheber so, während er auf einer ganz anders gearteten Mission durch den Garten spazierte. Wie eine schwarze Hummel bewegte er sich im Zickzack von einem Blumenbeet zum nächsten. Er stellte ein Bukett zusammen, das er seiner Liebsten zu überreichen gedachte, wann immer sie auftauchte. Hier wie anderswo auch galten die ehernen Gesetze des Universums für junge Männer, die auf junge Damen warteten, und infolgedessen geriet das Gebinde sehr groß. Vor einer Weile war es so groß geworden, dass ein Einzelner es nicht mehr halten konnte. Tatsächlich war es mittlerweile so etwas wie eine Blumenhalde auf dem Sockel einer passend platzierten Statue. Jedes Mal, wenn Johann dem Haufen etwas hinzufügte, richtete er ein kleines Gebet an Venus – denn sie hatte den Sockel inne -, sah zu Schloss Herrenhausen auf und heftete den Blick auf ein bestimmtes Fenster im Westflügel, hinter dem Caroline von ihren Bedienten umsorgt wurde. Solange die Spitzenvorhänge zugezogen blieben, war sie ein im Werden begriffenes Kunstwerk. Und so trat Johann jedes Mal zurück, musterte den Blumenhaufen und grübelte über die Ausgewogenheit der Farben und die Vielfalt der Formen nach. Er hielt ein eingebildetes Kolloquium mit der stummen und wenig hilfreichen Venus. Dann machte er sich wieder auf die Suche nach der einen Blüte, die das Ganze vollkommen machen würde. Der Garten war in Polygone – hauptsächlich Drei- und Vierecke – aufgeteilt, und während ihm die Wartezeit lang wurde, maß er mit seinen Schritten viele ihrer Seiten. Ein Gärtner von argwöhnischer Wesensart, der seine Bewegungen von fern beobachtete, hätte meinen können, er sei so etwas wie ein Spion, der Gartenbauspionage betrieb.
    Wer ihn dagegen aus größerer Nähe beobachtete, würde bemerken, dass er öfter nach außen, zur äußeren Umgrenzung, als nach innen auf die Blumenbeete schaute. Auf dem Weg, der am Ufer des den ganzen Garten einfassenden Kanals entlangführte, ritten wenige, aber unermüdliche Reiter auf teuren Pferden sinnlos hin und her. Zumeist waren sie in Zweier- und Dreiergruppen unterwegs. Überall klirrten Sporen. Ihr Klang durchdrang die feuchte, duftende Luft des Gartens wie Feenglöckchen im Mittsommer. Wenn Gruppen aufeinandertrafen, wurde Gemurmel lauter, während Geklingel verstummte. Jemand, der Höfe im Allgemeinen und Herrenhausen im Besonderen nicht gewöhnt war, hätte es ebenso ärgerlich wie rätselhaft gefunden. Johann von Hacklheber war daran gewöhnt und hatte verstanden, dass Höflinge buchstäblich keine andere Möglichkeit hatten, ihr Leben zu verbringen. Wieder einmal musste er daran denken, wie klug es von Sophie gewesen war, den Reitweg am äußersten Rand des Gartens anlegen zu lassen – und damit alle berittenen Verschwörer aus dem Teil zu verdrängen, den sie liebte.
    Als er eine vielversprechende Rosenknospe erspähte, fuhr er mit der linken Hand an der Außenseite seines Oberschenkels hinauf, dass die schwarze Wolle unter seinen Fingerspitzen knisterte, und über die Linie aus winzigen Silberschnallen hinweg, mit denen die schwarze Lederscheide seines Rapiers am Ende eines breiten, schwarzen Lederriemens – eines sogenannten Wehrgehenks – befestigt war, der diagonal über seinen Oberkörper verlief. Indem sich die Hand weiter nach oben und hinten bewegte, glitt sie unter den Schoß seines schwarzen Wollrocks und schob den Saum nach oben, sodass das schwarze Satinfutter bloßlag. Er beugte

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