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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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seine Söhne verkleidete Mörder sein könnten.
    Sein klares Bewusstsein dafür, dass er halb wahnsinnig geworden war, trug nicht dazu bei, die physische Kraft seiner Angst zu vermindern, die seinen Körper mit unwiderstehlicher Gewalt beutelte, so wie das Meer den Schwimmer hin und her wirft. Obwohl er die meiste Zeit im Bett blieb, fand er in den zwei Wochen, die er in der Dachkammer verbrachte, keine Ruhe und erzielte nur einen Gewinn: Er gelangte zu einem besseren Verständnis der Mentalität von Sir Isaac Newton. Doch das empfand er kaum als Belohnung. Es war fast so, als hätte er einen Schlaganfall erlitten oder einen Hieb auf den Kopf bekommen, der ihn der Fähigkeit beraubt hatte, über die Zukunft nachzudenken. Er war sich ganz sicher, dass seine Geschichte am Ende angelangt, dass seine plötzliche Reise über den Atlantik ein Schuss in den Ofen war und dass Prinzessin Caroline die Lippen schürzen, den Kopf schütteln und das Ganze als misslungene Investition und schlechte Idee abschreiben würde. Im Grunde ging es ihm nicht besser als damals, da man ihn in Bedlam an Hookes Stuhl gefesselt und ihm den Stein geschnitten hatte. Die Schmerzen waren nicht so heftig, doch die seelische Befindlichkeit war weitgehend die gleiche: im Hier und Jetzt gefangen wie ein Hund und nicht Teil einer zusammenhängenden Geschichte.
    Am St.-Valentins-Tag besserte sich sein Zustand. Das Agens, das diese Wunderheilung bewirkte, war ebenso obskur wie die Ursache der Krankheit selbst. Jedenfalls stammte es nicht aus dem Ärztekolleg, denn Daniel hatte sämtliche Energien, der er besaß, darauf verwendet, die Doktoren und ihre Lanzetten von sich fernzuhalten. Es schien vielmehr aus einem Stadtteil hervorzugehen, den es noch nicht gegeben hatte, als Daniel ein junger Mann gewesen war: einem Ort, der von Bedlam aus ein Stück weit die Straße hinauf lag und Grub Street hieß.
    Mit anderen Worten, Daniels Medizin waren Zeitungen. Mrs. Arlanc (die Frau von Henry, einem englischen Dissenter und Hausmeister von Crane Court) hatte getreulich Essen, Getränke und Zeitungen heraufgebracht. Besuchern hatte sie erzählt, Dr. Waterhouse sei sterbenskrank, und Ärzten, es gehe ihm schon viel besser, und damit hatte sie alle davon abgehalten, seine Schwelle zu überschreiten. Auf Daniels Bitte nahm sie davon Abstand, ihm seine Post zu bringen.
    Nun gab es an den meisten Orten gar keine Zeitungen, und so hätte er, wenn Mrs. Arlanc ihm keine gebracht hätte, gar nicht gewusst, dass es daran fehlte. In London aber gab es achtzehn. Es war, als hätten sich das Vorhandensein zu vieler Druckerpressen in einer einzigen Stadt, eine blutige, fortwährende Parteienbosheit und ein unerschöpflicher Vorrat an Kaffee in einem alchimistischen Sinne miteinander verbunden und ein monströses Wunder hervorgebracht, eine unstillbare Wunde, aus der Tinte floss und die niemals heilen wollte. Daniel, der in einem London groß geworden war, wo man Druckerpressen in Heuwagen hatte verstecken müssen, um sie vor den Hämmern des Zensors zu bewahren, konnte es anfangs gar nicht glauben; aber sie kamen immer wieder, jeden Tag. Mrs. Arlanc brachte sie ihm, als wäre es das Normalste von der Welt, dass ein Mann jeden Morgen, während er seinen Porridge löffelte, alles über Londons Skandale, Duelle, Katastrophen und Verbrechen las.
    Zunächst fand Daniel sie unerträglich. Es war, als würde ihm der Fleet Ditch jeden Tag eine halbe Stunde lang in den Schoß umgeleitet. Aber sobald er sich an sie gewöhnte, begann er gerade aus ihrer Abscheulichkeit so etwas wie Trost zu ziehen. Wie egozentrisch von ihm, sich aus Angst vor mysteriösen Feinden im Bett zu verkriechen, hier im Zentrum einer Metropole, die für Feindseligkeit, was Paris für den guten Geschmack war. Sich dermaßen entnerven zu lassen, bloß weil jemand in London versucht hatte, ihn in die Luft zu jagen, war genauso, als würde ein Matrose während eines Seegefechts schmollen, weil einer seiner Kameraden ihm auf die Zehen getreten war.
    Und so begann sich Daniel, insofern es ihm davon besser ging, auf seine tägliche Tintentoilette zu freuen. Ein kurzes Untertauchen in Galle, ein Spritzer Verleumdung ins Gesicht und ein Tupfer üble Nachrede hinter jedes Ohr, und er fühlte sich wie neugeboren.
    Der 14te Februar war ein Sonntag, was bedeutete, dass sich Mr. und Mrs. Arlanc schon vor Sonnenaufgang auf ihre wöchentliche Pilgerfahrt zu einem hugenottischen Bethaus begeben hatten, das irgendwo jenseits von

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