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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Ratcliff lag. Daniel fand nach dem Erwachen neben seiner Tür eine Schale kalten Porridge auf einem ansonsten leeren Tablett vor. Keine Zeitungen! Er wagte sich in die unteren Etagen des Hauses und suchte nach alten. Die meisten Räume enthielten überhaupt keine Lektüre außer verdammten Naturphilosophiebüchern. Doch im Erdgeschoss fand er hinten in Mrs. Arlancs Küche einen Stapel alter, zum Feuermachen aufbewahrter Zeitungen. Triumphierend stieg er wieder in seine Dachkammer empor und las ein paar der neueren Ausgaben, während er in seinem geronnenen Porridge eine Grube aushob.
    Von den Ausgaben der vergangenen Woche stimmten mehrere in einem faktischen Detail überein. Das passierte ungefähr so oft wie eine totale Sonnenfinsternis und rief mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit Panik auf den Straßen hervor. Sie stimmten darin überein, dass Königin Anne am morgigen Tag das Parlament eröffnen würde.
    Daniel stellte sich die Königin schon seit geraumer Weile als Karikatur von Altersgebrechlichkeit vor. Die Nachricht, dass diese schon mit einem Bein im Grab stehende Phantasiegestalt aus dem Bett steigen und etwas Bedeutsames tun würde, erfüllte ihn mit Scham. Als die Arlancs am Spätnachmittag vom Gottesdienst zurückkamen und die Mistress zur Dachkammer heraufgestiegen kam, um das Tablett und die Porridgeschale zu holen, verkündete Daniel, er werde morgen seine Post lesen und vielleicht sogar das Bett verlassen und sich anziehen.
    Mrs. Arlanc, die ihre Tüchtigkeit hinter der Fassade einer zappeligen Gluckenhaftigkeit verbarg, lächelte ob dieser Neuigkeit; war allerdings so wohlerzogen, die Lippen dabei geschlossen zu halten, damit Daniel nicht dem Anblick ihrer Zähne ausgesetzt sein würde. Wie bei den meisten Londonern waren sie vom Zucker gründlich geschwärzt.
    »Ihr habt Euch richtig entschieden, Sir«, räumte sie am nächsten Morgen ein, während sie sich, einen Korb voller Bücher und Papiere gegen den Leib gestemmt, rückwärts durch die Tür schob. »Sir Isaac hat sich schon dreimal nach Euch erkundigt.«
    »Er war heute Morgen da?«
    »Er ist jetzt da«, antwortete Mrs. Arlanc und hielt dann inne. Das ganze Haus hatte gleichsam kurz und scharf Atem geholt, während die Eingangstür zufiel. »Es sei denn, das war er, der da gerade gegangen ist.«
    Daniel, der auf der Kante seines Bettes saß, stand auf und verfügte sich ans Fenster. Er konnte von dort aus nicht zur Haustür hinabsehen. Doch gleich darauf erspähte er einen stämmigen Menschen, der, in jeder Hand eine Stange, davonstapfte, dicht gefolgt von einem schwarzen Tragestuhl und einem weiteren Stangen haltenden Burschen. Geduldig verfielen sie in Trab und schlängelten sich um ein paar lautstarke Straßenhändler, Scherenschleifer etc. herum, die den Crane Court auf und ab gingen und so taten, als wären sie völlig entgeistert darüber, dass die Bewohner nicht scharenweise aus den Häusern strömten, um mit ihnen ins Geschäft zu kommen.
    Daniel verfolgte Isaacs Sänfte mit Blicken, bis sie die Fleet Street erreichte, die eine vom Montagmorgenverkehr brausende Schlucht war. Die Träger blieben so lange stehen, dass sie tief Atem holen konnten, und vollführten dann einen tollkühnen Satz in eine Lücke zwischen zwei Kutschen. Aus hundert Ellen Entfernung und durchs Fenster hindurch konnte Daniel hören, wie mehrere Kutscher sich über die Mütter der beiden äußerten. Aber der ganze Vorteil der Sänfte bestand darin, dass sie andere Fahrzeuge hinter sich lassen konnte, indem sie sich in jede noch so schmale Lücke drängelte, die sich im Verkehr auftun mochte, und so war sie sehr bald in der Flut von Menschen und Tieren verschwunden, die sich nach Westminster wälzte. »Sir Isaac ist auf dem Weg zur Parlamentseröffnung«, spekulierte Daniel.
    »Ja, Sir. Genau wie Sir Christopher Wren, der ebenfalls vorbeigeschaut und sich nach Euch erkundigt hat«, sagte Mrs. Arlanc, die es nicht versäumte, die seltene Gelegenheit zu ergreifen, die Betttücher abzuziehen. »Aber das ist noch nicht alles, o nein, Sir. Heute Morgen habt Ihr nämlich Post von einer Herzogin bekommen. Ein Bote hat sie vor weniger als einer halben Stunde gebracht. Sie liegt ganz oben im Korb.«
    Hannover, 21. Januar 1714
    Dr.Waterhouse,
    da man Eure (so Gott will) baldige Ankunft in London erwartet, liegt Baron von Leibniz sehr daran, mit Euch zu korrespondieren. Ich habe dafür Sorge getragen, dass Briefe zwischen Hannover und London mittels vertrauenswürdiger

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