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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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preisgeben würde. Am Ende aber hat man das fragliche Kleidungsstück nicht einmal zu den Stadttoren hereingelassen.«
    »Es muss ein sehr junger Mensch gewesen sein«, vermutete Daniel.
    »Warum denkt Ihr das, Sir?«
    »Ich habe Euch nie fröhlicher gesehen, Mr. Threader! Nur ein Mensch, der sehr wenig erlebt hat, würde sich einbilden, dass ein Gentleman Eures Alters und Eurer Erfahrung dergleichen eindrucksvoll finden würde.«
    Dies machte Mr. Threaders Geschmunzel ein Ende und ließ ihn mehrere Momente lang innehalten. Irgendwann fand er zu seiner Fröhlichkeit zurück, doch erst nach gefährlichen Umwegen über Verwirrung, Erstaunen und Empörung. »Ich wollte gerade eine ganz ähnliche Bemerkung an Euch richten!« Ihn bestürzte weniger die Explosion als Daniels Unterstellung, sie habe etwas mit ihm zu tun. Wieder durchlief ein Zyklus aus Verwirrung und unterdrücktem Zorn sein Gesicht. Daniel beobachtete es ziemlich fasziniert; Mr. Threader hatte ja doch Gesichtszüge, und zwar reichlich.
    Am Ende konnte Mr. Threader nur lachen. »Ich wollte meine Empörung darüber zum Ausdruck bringen, Dr. Waterhouse, dass Ihr glaubt, dies hätte irgendetwas mit mir zu tun; aber ich habe geschwiegen. Ich kann nicht mit Steinen werfen, da ich, mutatis mutandis, genau der gleichen Sünde schuldig bin.«
    »Ihr glaubt, der Anschlag habe mir gegolten!? Aber kein Mensch hat gewusst, dass ich komme«, sagte Daniel. Doch er sagte es nicht sehr überzeugt, denn ihm waren gerade die Piraten in der Cape Cod Bay eingefallen, und wie der auf dem Achterdeck der Queen Anne’s Revenge buchstäblich glimmende Edward Teach namentlich nach ihm gefragt hatte.
    »Kein Mensch außer der gesamten Mannschaft des Schiffes, das Euch in Plymouth an Land gesetzt hat – denn es muss mittlerweile London erreicht haben.«
    »Aber kein Mensch hat gewusst, auf welchem Weg ich nach London komme.«
    »Kein Mensch, außer dem Rat der Zinngräber und den meisten Investoren der Eigentümer der Maschine zur Hebung von Wasser mittels Feuer! Ganz zu schweigen von Eurem Bürgen.« An dieser Stelle hellte sich Mr. Threaders Gesicht auf, und er sagte: »Vielleicht hat man nicht versucht, Euch Angst einzujagen, sondern schlicht, Euch zu töten!«
    »Oder Euch«, gab Daniel zurück.
    »Wettet Ihr gern, Dr. Waterhouse?«
    »Man hat mich dazu erzogen, es zu verabscheuen. Aber meine Rückkehr nach London beweist, dass ich schwach geworden bin.«
    »Zehn Guineen.«
    »Darauf, wem der Anschlag galt?«
    »Ganz recht. Was sagt Ihr, Dr. Waterhouse?«
    »Da mein Leben bereits auf dem Spiel steht, wäre es falsche Sparsamkeit, um zehn Guineen zu feilschen. Abgemacht.«

Crane Court
    ANFANG FEBRUAR 1714
    Aber was könnte der Grund dafür sein, dass ein so guter
Mann sein ganzes Leben in solcher Trübsal verbringen
musste?
    John Bunyan, Pilgerreise
     
     
     
     
    Die ersten vierzehn Tage Daniels bei der Royal Society konnten es an Aufregung oder Glanz nicht mit dem feurigen Spektakel aufnehmen, das von seiner Ankunft gekündet hatte. In den Minuten nach der Explosion war er sich dank der aus Angst hervorgegangenen Erregung ein halbes Jahrhundert jünger vorgekommen. Doch als er am nächsten Morgen in seiner Gästedachkammer erwachte, musste er feststellen, dass der Kitzel sich so rasch verflüchtigt hatte wie der Rauch der Explosion, während die Angst so hartnäckig bestehen blieb wie die kohlschwarzen Brandflecken, die überall auf dem Pflaster davon zurückgeblieben waren. In allen seinen Körperteilen hatten sich Schmerzen und Beschwerden bemerkbar gemacht, als wären sämtliche Erschütterungen und Übel, die ihm widerfahren waren, seit Enoch Root vor vier Monaten sein Institut betreten hatte, von seinem Körper nicht unmittelbar registriert, sondern in ein Schuldbuch eingetragen worden und nun allesamt auf einen Schlag mit Wucherzinsen fällig geworden.
    Viel mehr aber setzte ihm die Melancholie zu, die sich seines Geistes bemächtigte und ihm das Verlangen nahm zu essen, aus dem Bett aufzustehen und sogar zu lesen. Er regte sich nur ab und zu einmal, wenn sich die Melancholie zu nackter, animalischer Angst verdichtete, die sein Herz hämmern machte und ihm alles Blut aus dem Kopf trieb. Eines Morgens, vor Tagesanbruch, ertappte er sich dabei, dass er vor seinem winzigen Fenster kauerte, an einem Leinenvorhang zupfte, zu einem Wagen hinausspähte, der in den Crane Court eingerollt war, um Kohle in ein Nachbarhaus zu liefern, und sich fragte, ob der Kohlenhändler und

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