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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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darüberkippten. Da die Gäste außer Kauen und Schlucken nichts hatten, um sich die Zeit zu vertreiben, raste das Mahl von einem Gang zum anderen. Erst beim Pudding bequemte Bolingbroke sich zu einem Eröffnungszug. »Mylord«, sagte er zu Roger, »es ist Ewigkeiten her, seit ich mir das letzte Mal die Zeit nehmen konnte, eine Zusammenkunft der guten alten Royal Society zu besuchen. Oh, sind noch andere Fellows anwesend?« Er schaute sich am Tisch um. Seine Augen standen zu eng, sein Nasenrücken war zu hoch und zu lang: Gesichtszüge, die besser zu einem fleischfressenden Tier als zu einem Menschen passten. Er war also alles andere als gutaussehend, doch seine Hässlichkeit war von einer Art, die beim Betrachter eher Vorsicht als Spott auslöste. Sein Mund war klein und gespitzt, aber die Mündung einer Schusswaffe war ja auch nicht sonderlich groß. Bolingbrokes einziger Ausflug in das Reich der Mode hatte darin bestanden, eines Tages zur Audienz bei der Königin eine ausgesprochen kleine und einfache Perücke zu tragen. Das hatte sie ihm mit der Frage heimgezahlt, ob er die Absicht habe, beim nächsten Mal mit einer Nachtmütze auf dem Kopf zu erscheinen. Heute Abend hatte er die volle Montur angelegt: weiße Locken, die ihm über die Schultern und den Rockaufschlag bis irgendwo zwischen der Höhe seiner Brustwarzen und der Taille fielen. Seine Halsbinde war weiß und wie ein Verband mehrfach um seinen Hals gewunden. Von ihr und der Perücke eingerahmt, hatte sein Gesicht Ähnlichkeit mit einem in einer Versandkiste sorgfältig verpackten Straußenei. Das war das Gesicht, dessen Blick prüfend die linke Seite des Tisches hinunter, dann die rechte wieder hinauf wanderte, bis er auf den Marquis von Ravenscar fiel, der zu seiner Rechten saß.
    »Nein, Mylord«, antwortete Ravenscar, »es sind nur wir beide da.«
    »Das Studium der Naturphilosophie hat die Whigs der neuen Generation nicht zu fesseln vermocht«, folgerte Bolingbroke.
    »Die Royal Society hat sie nicht zu fesseln vermocht«, berichtigte Ravenscar ihn. »Was sie außer Politik und Frauenzimmern studieren, weiß ich nicht.«
    Darauf zaghaftes Gelächter, weniger vor Vergnügen als vor Erleichterung darüber, dass eine Unterhaltung in Gang zu kommen schien.
    »Mylord Ravenscar versucht das alte Gerücht aufzurühren, ich verstünde so viel von Frauenzimmern wie Sir Isaac Newton von der Gravitation.«
    »Tatsächlich übt doch das schöne Geschlecht, der Gravitation gleich, eine ständige Anziehung auf uns aus.«
    »Ihr wechselt das Thema – zugegeben, zu einem faszinierenderen Gesprächsgegenstand«, sagte Bolingbroke. »Ist nicht die Royal Society der Welt berühmtester salon für Diskussionen über Naturphilosophie? Wie kann ein Mann behaupten, ein amateur des Lernens zu sein, ohne dass er danach strebt, ein Fellow zu werden? Oder siecht sie etwa dahin? Ich kann es nicht wissen. War Ewigkeiten nicht mehr bei einer Zusammenkunft. Wirklich eine Schande.«
    »Wir haben den Teil des Dinners erreicht, wo wir unsere Stühle zurückschieben, die Servietten hinwerfen und uns die Bäuche klopfen«, bemerkte Ravenscar. »Bedeutet das, dass Eure Partei dahinsiecht?«
    »Ich verstehe«, sagte Bolingbroke, nachdem er diesen engstehenden blauen Augen erlaubt hatte, eine Weile an der Decke entlang zu wandern, als dächte er angestrengt nach. »Ihr wollt sagen, dass die Royal Society sich in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens den Bauch mit Gelehrsamkeit vollgeschlagen hat und jetzt eine Pause macht, um alles Aufgenommene zu verdauen.«
    »So ungefähr.«
    »Aber muss man nicht, wenn man viel erreicht hat, dieses auch verteidigen ?«
    »Das klingt, als könnte es eine doppelte Bedeutung haben, Mylord.«
    »Oh, seid nicht langweilig. Es hat eine einzige Bedeutung, und die hängt mit Sir Isaac und den verlogenen Ansprüchen des ehrlosen Hannover’schen Plagiators zusammen, Baron von wie-heißt-er-doch-gleich -«
    »Alle Hannoveraner, die ich kennengelernt habe, sind gediegene Persönlichkeiten«, gab Ravenscar stur zurück.
    »Offensichtlich habt Ihr nicht die Bekanntschaft von Georg Ludwigs Frau gemacht!«
    »Niemand kann ihre Bekanntschaft machen, solange er sie in diesem Schloss einsperrt, Mylord.«
    »Ach ja. Sagt, ist es dasselbe Schloss, in dem Prinzessin Caroline Zuflucht gesucht haben soll, als sie sich in den Kopf setzte, dass Mörder ihr durch die Gärten nachstellten?«
    »Diese Geschichte wurde mir nicht erzählt, Mylord – oder falls doch, habe ich

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