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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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glücklicherweise frei von Geld war. Adligen, Geistlichen und Bauern – den einzigen Menschen, die in einem gesitteten christlichen Königreich erwünscht waren oder gebraucht wurden – waren Münzen ebenso fremd, unheimlich und unerklärlich wie Hostien einem Hindu. Sie sind, davon bin ich überzeugt, ein Artefakt der heidnischen Geisterbeschwörer der Römer, Talismane des unterirdischen Mithraskults, die der heilige Konstantin nach seiner Bekehrung zum wahren Glauben irgendwie auszumerzen vergaß, auch wenn die Tempel der Götzendiener niedergerissen oder in Kirchen umgewandelt wurden. Die Hersteller, Benutzer und Sammler bildeten einen Kult, eine geheime Verbindung, eine Parasitenplage, die viele Jahrhunderte überdauerte, nicht christlicher als die Juden – tatsächlich waren viele von ihnen Juden. Sie kamen an ein paar Orten wie Venedig, Genua, Antwerpen und Sevilla zusammen und spannen rund um den Erdball ein Gewebe oder Netzwerk aus Verbindungskanälen, durch die in schwachen, unbeständigen Stößen das Geld floss. Das war widerwärtig, aber erträglich. Was jedoch in der letzten Zeit passiert ist, kann man nur noch monströs nennen. Der Geldkult hat sich in dem, was einmal die Christenheit war, schneller ausgebreitet als der Glaube Mohammeds in Arabien. Das wahre Ausmaß dessen habe ich jedoch erst begriffen, als Ihr nach Versailles kamt, eine berüchtigte holländische Hure, ein Spielball kranker Bankiers, und binnen kurzem in den Adelsstand – den Stand einer Herzogin mitsamt frei erfundener Ahnentafel – erhoben wurdet, und warum? Weil Ihr edle Eigenschaften besaßt? Nein. Nur weil Ihr geschickt mit Geld wart – eine Hohepriesterin des Münzenkults – und deshalb von denselben degradierten Hofschranzen bewundert wurdet, die sich um Mitternacht in verlassenen Kirchen trafen, um die schwarze Messe zu lesen.
    Da reifte in mir der Entschluss, Euch auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, Eliza. Das ist für mich dasselbe wie für Sir Galahad der Heilige Gral: ein Streben, das mich durch viele Versuchungen und Reisen hindurch aufrechterhalten hat. Natürlich wäre es ein eitles Vergnügen, wollte ich einfach bloß zuschauen, wie das Feuer Euch langsam verzehrt. Für so zügellos dürft Ihr mich nicht halten. Euch zu verbrennen, Eliza, sollte der Höhepunkt, die Katharsis eines großen Werks der Läuterung sein. England sollte von den Armeen des allerchristlichsten Königs besiegt werden, und als Nächstes sollte die Holländische Republik fallen. Nicht nur Ihr , sondern viele andere hätten in Autodafés vernichtet werden sollen, die das Antlitz Europas erleuchtet hätten wie diese Feuer heute Nacht den Hay Market. Es hätte das Ende der Ketzerei sein sollen – der Ketzerei der sogenannten Protestanten, der Juden und vor allem des Geldkults. Von den Michelangelos eines neuen Zeitalters, die nicht für Geld, sondern für den Ruhm Gottes malten, wäre dieses Ereignis auf großen Ölgemälden und Fresken festgehalten worden. Diese Gemälde wären großflächige Darstellungen ungezählter Gestalten gewesen, aber den Ehrenplatz in der Mitte hättet Ihr eingenommen, Eliza, brennend auf einem Scheiterhaufen am Charing Cross. Wann immer ich auf meiner Reise um die Welt unter Krankheiten, Kälte oder Erschöpfung litt und mein Glaube mich zu verlassen begann, malte ich mir das aus und schöpfte neue Kraft daraus. Diese geliebte Vorstellung lockte mich immer weiter voran, genau wie die Angst davor Jack antrieb wie der Peitschenknall den Ochsen.«
    Während dieser ganzen merkwürdigen Rede versuchte Eliza mit ihrem Dolch an dem Ochsenhautband herumzusägen, das dem Kutschenschlag als Scharnier diente. Ohne eine ständige Bewegung der Schulter, die de Gex bemerkt hätte, war das schwer zu bewerkstelligen, weshalb sie versuchte, nahezu unmerklich zu arbeiten. Mithin langsam. Er hatte es offensichtlich nicht eilig, mit ihrem Autodafé weiterzumachen; sie fürchtete jedoch, dass er auf irgendeine Schlussfolgerung zusteuerte und sich anschickte, ihre Kutsche anzuzünden oder so etwas. Deshalb stellte sie ihm eine Frage. »Angesichts Eurer Leidenschaft für die Alchimie ist das genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erwartet hätte – wer hätte gedacht, dass Ihr eine solche Abneigung gegen Geld hegt?«
    De Gex schüttelte traurig den Kopf und löste zum ersten Mal seit einer ganzen Weile den Blick von Eliza. Das Licht eines Feuers funkelte auf der ölig glänzenden Klinge seines Dolches und zog seine

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