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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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erfrieren hatte er nur dadurch vermieden, dass er vierundzwanzig Stunden am Tag eine wollene Nachtmütze getragen hatte.
    Während er diese Kleider anzog, was lange dauerte – seine Finger waren steif vor Alter und Kälte, und die Knöpfe wollten kein Ende nehmen -, sah er den Korb durch, den Mrs. Arlanc als Verwahrungsort und er selbst als Kehrichteimer für seine Post ansah. Es waren fünf separate Schreiben von Mr. Threader da, zwei von Roger Comstock, eines vom Earl of Lostwithiel und diverse Karten und kurze Briefchen von Fellows, die bei ihm hatten hereinschauen wollen und von der unerbittlichen Mrs. Arlanc abgewiesen worden waren. Seine Londoner Verwandten, von denen er teilweise noch nie gehört hatte (es waren Kinder des verstorbenen Sterling, von Raleigh und von William Ham) hatten, etwas flüchtig, geschrieben. Wie versprochen, war die Monadologie von Leibniz da, außerdem eine zweite Auflage von Isaacs Principia mathematica, deren Ledereinband noch nach der Gerberei stank. Sie war nicht von Isaac abgegeben worden – von ihm befand sich denn auch nichts in dem Korb -, sondern von einem seiner jungen Gehilfen, der achtsamerweise eine neuere Ausgabe des Journal Literaire, ein Dokument der Royal Society vom vergangenen Jahr mit dem Titel Commercium epistolicum und einen Schwung Flugschriften und Pamphlete in diversen Sprachen, alle mit schmalem schwarzem Band verschnürt, daraufgelegt hatte. In Letzterem erkannte Daniel ein mehrere Jahre umfassendes Konvolut der Attacken und Gegenattacken im Kalkülstreit. Offenbar erwartete man von ihm, dass er sich damit vertraut machte – was nur bedeuten konnte, dass man ihn vor das Tribunal zu zitieren gedachte, damit er dort aussagte.
    So viel zur Post von Menschen, die er tatsächlich kannte. Er arbeitete sich tiefer in den Korb hinein. Metallisches Scheppern und Scharren drang aus dessen Tiefen, als er sie durchwühlte. Es waren ein paar Briefe von Londonern da, die mit Beginn des Vormonats seine Kollegen im Aufsichtsrat der Eigentümer der Maschine zur Hebung von Wasser mittels Feuer geworden waren. Zwei Briefe stammten von Leuten, deren Namen ihm überhaupt nichts sagten, die jedoch einen methodischen Verstand hatten – jedenfalls vermutete er das aufgrund ihrer Handschrift. Diese beiden Briefe waren die einzigen, die zu öffnen und zu lesen er sich die Mühe machte, und zwar schlicht deshalb, weil sie die einzigen waren, deren Inhalt nicht komplett vorhersagbar war. Wie sich herausstellte, stammten sie beide von Männern, die Erfindungen zur Bestimmung des Längengrades gemacht hatten und Daniel baten, sie dabei zu unterstützen, ihre Ideen der Royal Society vorzulegen. Daniel warf die Briefe weg.
    Von seiner Frau oder von dem kleinen Godfrey waren keine Briefe gekommen, was angesichts der Jahreszeit und des rauen Wetters keineswegs verwunderlich war. Als er ganz unten in dem Korb wühlte, schnitt er sich an etwas Gezacktem und zog die Hand hastig zurück. Er war nicht zu alt, um an Wundbrand zu sterben. Seine Finger kamen eher rußig als blutig zum Vorschein. Nachdem er sämtliche Post aus dem Korb gezogen und diesen dann in Richtung Fenster geneigt hatte, sah er auf dessen Grund mehrere verkrümmte und geschwärzte Holz- und Eisenteile. Deren größtes war ein Miniaturfass von nur einer Gallone Volumen, wie man es etwa benutzen mochte, um Spirituosen zu befördern. Das eine Ende war intakt – zwar schwer beschädigt, aber noch als Teil eines einstigen Fässchens erkennbar. Die Dauben wurden am Ende von einem eisernen Reif zusammengehalten, um sich dann wie Längengrade vom Pol nach außen zu wölben, bis sie den Äquator erreichten. Keine aber ragte sehr weit in die andere Hemisphäre hinein. Einige waren glatt abgebrochen, andere nach außen gebogen, wieder andere zersplittert und zerfasert. Dieses Ende des Fässchens und der dazugehörige Metallreif fehlten völlig, doch könnte ihr Verbleib in einigen der losen Fragmente auf dem Boden des Korbes seine Erklärung finden. Dort lagen auch noch andere Sachen: Zahnrädchen, Federn, Hebel aus gehämmertem Messing.
    Ein Teil von Daniel wollte diesen Korb auf einem gut beleuchteten Tisch umstülpen und den Apparat wieder zusammensetzen. Stattdessen aber begrub er ihn wieder unter seiner ungelesenen Post. Vierzehn Tage lang war er von Melancholie gelähmt und von vernunftwidrigen Ängsten gequält worden. Heute waren seine Säfte wieder ins Gleichgewicht gekommen. Der Daniel Waterhouse, der sich zwei Wochen lang

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