Principia
»Sie sollen, sobald es das Frühjahrswetter erlaubt, in die Ostsee segeln und sich meiner Flotte zu einem weiteren Schlag gegen die Schweden anschließen; denn ich habe Finnland noch nicht vollständig von diesem Ungeziefer befreit. Es ist mein Wunsch, dass diese Schiffe, bevor sie von London absegeln, mit Werkzeugen für meine Gelehrten an der Akademie der Wissenschaften beladen werden und dass sie die Früchte der Arbeit von Dr. Waterhouse mitbringen.«
»Es wird geschehen, wie Ihr befehlt, Eure Kaiserliche Majestät«, antwortete ich, da es unklug schien, irgendeine andere Antwort zu geben.
Danach konnte er mich gar nicht schnell genug fortscheuchen. In halsbrecherischer Geschwindigkeit wurde ich mit einer Troika ins Zentrum von Karlsbad zurückbefördert und mit meinem Kutscher wiedervereinigt. Von dort aus fuhren wir weiter nach Hannover und nahmen lediglich einen kurzen Umweg über Leipzig, wo sich alle meine Angelegenheiten in Unordnung befinden. Die Veröffentlichung der Monadologie geht mit dem üblichen Maß an Gezänk mit den Druckern voran. Nun, da der Krieg vorüber ist, interessiert sich Prinz Eugen, der tapfere Waffenbruder des Herzogs von Marlborough, für Philosophie – was eine Affektiertheit sein mag oder auch nicht. Jedenfalls hat er mich gebeten, einige meiner Gedanken in einer Form niederzuschreiben, die für Menschen wie ihn lesbar wäre, Menschen, die gebildet und intelligent sind, aber nicht berufsmäßig Philosophie studieren (da ist er nicht der Erste. Es wäre einmal interessant, einen dieser Leute zu fragen, warum sie annehmen, es sei dies im Falle der Philosophie möglich, wo es ihnen doch im Traum nicht einfiele, Sir Isaac zu bitten, eine Version der Principia Mathematica zu schreiben, aus der alle Mathematik getilgt ist). Ich habe mich nach besten Kräften bemüht, Prinz Eugen zufriedenzustellen. Die Abhandlung heißt Principes de la Nature et de la Grace fondés en Raison, und mit ihrem Druck geht es, unter ganz anderen Ablenkungen und Kontroversen, ebenfalls voran. Größtenteils aber brachte ich meine Zeit in Leipzig nicht mit der Veröffentlichung neuer Werke zu, sondern mit dem höchst langweiligen Wiederkäuen dessen, was ich vor vierzig Jahren getan habe. Da Ihr im Schoß der Royal Society ruht, Daniel, wisst Ihr, wovon ich spreche: von dem Disput mit Sir Isaac darüber, wer als Erster das Kalkül erfunden hat. Briefe sind hin- und hergeflogen wie Falken über den Hof eines Abdeckers, seit die Debatte vor etwa sechs Jahren an Schärfe gewann, doch richtig erhitzt hat sie sich erst in den letzten beiden Jahren oder jedenfalls seit Sir Isaac »Komitees« und, Gott sei uns gnädig, »Tribunale« einzuberufen begann, die ein unparteiisches Urteil sprechen sollten. Kurzum, wenn Ihr dies lest, wird alles, was ich zum Prioritätsstreit sagen könnte, veraltet sein, und Ihr könnt verlässlichere Kunde erhalten, wenn Ihr auf dem Flur jemanden ansprecht und ihn nach dem Neuesten fragt.
An dieser Stelle, Daniel, treibt Euch fraglos die Angst um, dass ich im Begriff stehe, Euch in meinem Krieg mit Sir Isaac um Hilfe zu bitten. In der Tat muss ich gestehen, dass ich mich vielleicht sogar dazu herabgelassen hätte, wenn mir von Peter nicht drückendere Lasten aufgebürdet worden wären. So aber dachte ich während der Fahrt von Leipzig nach Hannover kaum an Newton, außer in einem rein praktischen Sinne: Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich Euch im Crane Court einen Brief zukommen lassen sollte, ohne dass irgendwer – möglicherweise sogar Newton selbst – meine Handschrift erkennen und ihn aufreißen würde.
Bei meiner Ankunft jedoch erfuhr ich, dass die Vorsehung mir gewogen war. Meine (und ich glaube, auch Eure) alte Freundin Eliza, die Herzogin von Arcachon-Qwghlm, war inkognito in die Stadt gekommen.
Mehrere Angehörige des englischen Adels sind in den letzten ein, zwei Jahren von Hannover angezogen worden, während der Krieg wie eine abgelaufene Uhr zum Stehen kam und offensichtlich wurde, dass England den Prätendenten als Nachfolger von Königin Anne nicht hinnehmen würde. Diese englischen Höflinge – natürlich allesamt Whigs – haben sich wahrscheinlich die Verachtung der Londoner Gesellschaft zugezogen, weil sie der herrschenden Königin den Rücken gekehrt haben, um sich bei Sophie und ihrem Sohn einzuschmeicheln. Und vielleicht verdienen einige von ihnen das auch. Aber sie haben nicht nur den Hannoveranern, sondern auch England unschätzbare Dienste erwiesen,
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