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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Richtung mehr als einen Steinwurf weit zu sehen, außer da, wo sich in der Ferne ein Berg erhob. Durch den gesprenkelten Schatten des Waldes mäanderte ein heller Fluss: ein Weg, dessen Grasbewuchs in der Sommerhitze strohartig und trocken wie Zunder geworden war. Dieser kreidehaltige Boden war so wenig imstande, Feuchtigkeit zu speichern, wie die Finger eines Skeletts, Geld zu halten. Das löste in seinem Kopf ein wildes Gezeter aus: Er hatte eine Kompanie in eine Hügelregion marschieren lassen, in der es keine Bäche oder Tümpel geben würde! In ein paar Stunden würde ihnen das Wasser ausgehen! Diese Befürchtungen beschwichtigte er mithilfe komplizierter Gedanken und großer geistiger Anstrengung; zehn Schritte später kamen sie wieder hoch und beherrschten seinen Verstand für eine kleine Ewigkeit. Die Gedanken wurden trocken und ausgelaugt wie Stroh, auf dem man zu oft geschlafen hat, und lösten sich schließlich beim ersten hellen Morgenlicht auf.
    Wie Jungen, die durch einen Bach bis an die Stelle gewatet sind, wo er sich in einem Fluss verliert, hatten die Truppen eine ausgedehnte Mulde erreicht, die sich aus welligem Ackerland unterhalb davon – im Wesentlichen zu ihrer Linken – erhob und rechts von ihnen an die kalkhaltigen Ausläufer eines Kreidehügels grenzte – eines down , wie man solche Hügel hierzulande nannte. Dort endete dieser angenehm breite, von vereinzelten Bäumen gesäumte Weg aus trockenem Schwingelgras an einer struppigen Tonsur aus Buchen, die sich an den raueren Teilen des down festhielten, ja sie bis ganz hinauf zu bedecken schienen – was sich als falsch herausstellte, als er durch spärlich bewachsene Stellen im Wald hindurchschauen und auf der oberen Seite vertrocknete Wiesen sehen konnte.
    Zu diesem Zeitpunkt wäre die Schlachtordnung ihm sogar dann klar gewesen, wenn er ein einfacher Soldat ohne jedes Mitspracherecht bei der Planung gewesen wäre: Oben auf diesem Hügel lag ein Anwesen, das von dieser Seite her durch den Buchengürtel geschützt war. Richtige Besucher würden es (wie er vermutete) über irgendeinen Fahrweg erreichen, der den sanfteren Hang auf der anderen Seite heraufkam; er und seine Kompanie würden es jedoch von seiner (wie er hoffte) ungeschützten und unbewachten Rückseite her angreifen, indem sie sich mühsam den bewaldeten Kreidefelsen hochschleppten, bis sie zwischen den Bäumen hervorbrechen und auf die freie Fläche darüber und jenseits davon stürmen konnten.
    Während er sich das alles im Kopf zurechtlegte, stellten sich die winzigen Haare in seinem Nacken hoch. Er drehte sich um und sog diese neue Brise ein. Sie war feucht und roch nach dem Fluss. Sie würde ihnen durch die Bäume nach oben vorausziehen.
    Jetzt sprach er zum ersten Mal seit Stunden und gab den Befehl aus, dass jedes Peloton sofort anfangen sollte, um ein sprachliches Bild zu verwenden, mit denen links und rechts von ihm Händchen zu halten, damit sie einander nicht im Nebel verlören und die Linie zerbrechen ließen. »Was für ein Nebel, Sergeant?«, fragte jemand, denn die Luft war klar wie geschmolzener Schnee. Doch Sergeant Bob kehrte diesem Burschen nur den Rücken zu und begann, den Hügel hinaufzupirschen. Ein Maß für soldatische Erfahrung, hatte er herausgefunden, war, wie lange ein Mann brauchte, um zu merken, dass ein Gefecht begonnen hatte. Für Bob Shaftoe hatte es in dem Augenblick begonnen, als die feuchte Brise sich von der Themse aus auf den Weg hier herauf gemacht hatte, und der Kampf war schon zu mehr als der Hälfte vorbei. Für diesen Burschen, der soeben »Was für ein Nebel?« gefragt hatte, lag der Beginn des Kampfes immer noch in einer nicht näher bestimmten Zukunft. Auf die Spitze getrieben, führte diese besondere Art der militärischen Unfähigkeit dazu, dass Männer im Schlaf oder beim Essen umzingelt und getötet wurden. In weniger extremen Formen verursachte sie übermäßige Verluste. Bob kannte kein anderes Heilmittel dagegen, als zu handeln, worauf zaudernde Sergeanten und Korporale regelmäßig so erschrocken und peinlich berührt waren, dass sie ihm folgten. Am Rand des Buchenwalds konnte er die Feuchtigkeit klamm auf seinen Armen spüren. Als er seine Kompanie auf das hochgelegene Weideland oben auf dem down führte, lag es still unter einem neuen Nebel. Er war noch keine zehn Schritte in das Anwesen auf der Spitze des Hügels gegangen, als ein Hund zu bellen begann. Die Kompanie hatte sich bemerkenswert leise bewegt, doch da der Wind

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