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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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dass (wie in so vielen anderen Situationen des Lebens) kein Kraut dagegen gewachsen war und niemand eine Entschuldigung vorbringen würde.
    Jedenfalls beschäftigte ihn das, bis sie den Gipfel der Anhöhe erreichten und sich mitten in dem Geruch wiederfanden: einem Gestank von sal ammoniac , der so widerlich war, dass er die Pferde in Panik versetzte und den Kutscher zwang, alles aufzubieten, was er an Verstand, Willen und Peitschenfertigkeiten besaß, um sie zu zügeln, herumzudrehen und gegen den Wind zu lenken, weg von der schlechten Luft. Dieser konfuse und wilde Schwenk über die Kuppe des Hügels dauerte allenfalls zehn Sekunden und hinterließ bei Daniel einen Mischmasch aus gruseligen Eindrücken: der hysterische Hund am Ende seiner Leine, die ausgeweideten Gebäude, der fleckige Boden. Die Worte »Gräuel der Verwüstung« hingen in seinem Kopf, ja, er konnte hören, wie Drake sie aus der Genfer Bibel intonierte. Man hatte sich der alten Fachwerkbauten des Gehöfts – von Jack und seiner Bande vermutlich bereits als Ruinen vorgefunden – bemächtigt und sie, Käfern gleich, die einen Kadaver reinigen, ausgehöhlt, aufgerissen, ausgeweidet, ausgeräumt und zu etwas monströsem Neuen gemacht. Nach außen zur sie umgebenden Landschaft hin waren sie nicht wesentlich verändert worden, aber in der Mitte hatte das Gelände sich zu etwas verwandelt, das teils Riesenmaschine, teils Alchimistenlabor war. Gewaltige Kessel, von Rauch geschwärzt, verengten sich zu gewundenen Röhren aus gehämmertem Kupfer, deren Oberfläche durch tropfende Lötmetallperlen mattiert und reichlich mit flockenartigen Ablagerungen von chemischen Kristallen bedeckt war. Der Boden lag an mehreren Stellen, wo er mörderische Tinkturen abbekommen hatte, verbrannt und tot da.
    Schließlich kam es ihm in den Sinn, sich Isaac zuzuwenden, um festzustellen, wie der Erzalchimist auf diesen kurzen Anblick typischer Vorrichtungen seiner Kunst reagierte. Daniel entdeckte in Isaacs Gesicht weder Faszination noch Abscheu, sondern eine Art nachdenkliche Verwirrung, den Blick, den er bekam, wenn er in Gedanken Verknüpfungen herstellte, die über Daniels Horizont gingen. Dann schaute er Daniel plötzlich an und sagte: »Clarkes Haus.«
    Womit er sich auf etwas bezog, was er Daniel fünfzig Jahre zuvor bei einem Besuch in Grantham, Lincolnshire, gezeigt hatte: das Haus eines Apothekers, bei dem Isaac als Schuljunge gewohnt hatte. Clarke hatte in Alchimie dilettiert und einen seitlich neben seinem Haus gelegenen Garten mit den Überresten seiner Experimente gefüllt. Das Ganze war viel kleiner gewesen als das, was sie eben gesehen hatten, aber dem jungen Isaac musste es genauso groß vorgekommen sein und genauso wunderbar gefährlich und brodelnd vor Geheimnissen. In dem halben Jahrhundert seit damals war alles Alchimistische Isaac vertraut geworden, aber was er gerade gesehen hatte, musste blitzartig dieselben Emotionen in ihm geweckt haben, die er als Junge gehabt hatte, wenn er unerlaubte Ausflüge in Mr. Clarkes Laboratorium unternahm.
    Daniel dagegen wünschte sich, er könnte verabscheuen, was Jack aus diesem guten alten Bauernhof gemacht hatte, könnte entrüstet sein und ihn dafür umso mehr hassen. Doch keins dieser Gefühle wollte sich bei ihm einstellen. Und das würden sie auch nicht tun, denn in Devon hatte Daniel bereits das Werk von Mr. Thomas Newcomen gesehen, das ihm jetzt wie ein Vorläufer von diesem hier erschien. Vielleicht waren die Maschine zur Hebung von Wasser mittels Feuer und Jacks Phosphorfabrik aber auch beide Vorläufer von etwas anderem, das er sich kaum ausmalen konnte – und eigentlich auch nicht wollte. Er hatte einmal in sehr selbstgerechtem Ton zu Mr. Threader gesagt, dass England keine Sklaven bräuchte, wenn es lernen würde, Maschinen herzustellen, und dass raffinierte Maschinen viel eher etwas Englisches darstellten als schuftende Neger; jetzt dämmerte ihm jedoch allmählich, dass er mit seinen Wünschen besser vorsichtiger gewesen wäre. Das erste Phosphorlabor überhaupt – das des Alchimisten Heinrich Brand – war so raffiniert gewesen, dass es Leibniz zu einem Gedicht darüber inspiriert hatte. Aber an Leibnizens Miene konnte Daniel erkennen, dass er über diesen Ort keine Gedichte schreiben würde, allenfalls einen zusätzlichen Gesang zu Dantes Inferno .
    Sie stiegen aus der Kutsche aus, da die Pferde sich unter keinen Umständen der stinkenden Fabrik auch nur einen weiteren Zoll nähern würden. Sie

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