Principia
Er ist zufällig in mich verliebt, das ist alles.«
»Ach so, das ist natürlich etwas ganz anderes.«
»Es besteht kein Anlass zum Sarkasmus.«
»Wie habt Ihr Euch kennengelernt? Ich höre für mein Leben gern Geschichten darüber, wie wahre Liebende sich kennenlernen.«
»Wir sind keine wahren Liebenden«, widersprach Eliza, »und wie wir uns kennengelernt haben – nun – das geht Euch gar nichts an.«
Eine andere Tür knallte auf, und herein kam Leibniz. Mit ernster Miene verbeugte er sich vor den Damen. »Ich nehme an, die Abreise nach Hannover ist geplant, und zwar schon bald«, sagte er. »Wenn Eure Königliche Hoheit mich dabeihaben möchten, werde ich Euch begleiten.« Er wandte sich Eliza zu. »Mylady. Die Freundschaft, die vor dreißig Jahren in Leipzig begann, als unsere Wege sich auf dem Jahrmarkt kreuzten und ich zusammen mit Euch und Eurem Landstreicher-Kavalier ein kleines Abenteuer erlebte -«
»Aha!«, rief Caroline.
»- neigt sich jetzt dem Ende entgegen. Der edle und großartige Versuch der Prinzessin, mit der geschickten und geduldigen Unterstützung von Dr. Waterhouse eine philosophische Versöhnung herbeizuführen – ist, wie ich leider sagen muss -«
»Gescheitert?«, sagte Caroline.
»Vertagt«, schloss Leibniz.
»Auf wann?«
»Auf in hundert, vielleicht tausend Jahren.«
»Hm«, sagte Caroline, »das wird dem Haus Hannover wenig nützen, wenn es darum geht, einen neuen Kronrat zu ernennen.«
»Ich bedaure«, sagte Leibniz, »aber manche Dinge lassen sich nicht beschleunigen. Wohingegen andere, wie meine Abreise aus London, allzu rasch erfolgen.«
»Wo sind Sir Isaac und Dr. Waterhouse?«, fragte die Prinzessin.
»Sir Isaac hat sich empfohlen und lässt vielmals um Entschuldigung bitten, dass er sich nicht persönlich verabschiedet hat«, sagte Leibniz, »aber es wurde ziemlich deutlich, dass er schrecklich wichtige Dinge zu tun hatte. Dr. Waterhouse sagte, er werde, für den Fall, dass Ihr geneigt wäret, ihn für das Scheitern seiner Mission zu köpfen, im Garten auf Euch warten.«
»Auf keinen Fall! Ich werde gehen und ihm für seine guten Dienste danken – und Euch sehe ich morgen auf dem Schiff!«, sagte Caroline und fegte aus dem Raum hinaus.
»Eliza«, sagte der Gelehrte.
»Gottfried«, sagte die Herzogin.
London Bridge
AM NÄCHSTEN TAG
»Es war nicht halb so tränenreich, wie es hätte sein können«, sagte Leibniz, »wenn man bedenkt, wie lange die Herzogin und ich uns nun kennen und was wir alles gemeinsam durchgestanden haben und so weiter. Natürlich werden wir in Briefkontakt bleiben.«
Er beschrieb seinen Abschied von Eliza am Tag zuvor im Leicester House, hätte aber genauso gut den meinen können, der jetzt auf der London Bridge zwischen ihm und Daniel stattfand.
»Einundvierzig Jahre«, sagte Daniel.
»Das dachte ich auch gerade!«, sagte Leibniz, eigentlich schon, bevor Daniel zu Ende gesprochen hatte. »Es war vor einundvierzig Jahren, als Ihr und ich uns zum ersten Mal sahen, genau hier, auf diesem – wie heißt es doch gleich?«
»Pfeilerkopf«, ergänzte Daniel. Sie standen auf dem Pfeilerkopf unterhalb des Square fast in der Mitte der Brücke und nicht so schrecklich weit von der Großmars entfernt, wo der Club kürzlich seine Überwachungsaktion durchgeführt hatte. Daniels Erinnerung daran war jedoch, obwohl es erst wenige Wochen her war, schon ziemlich verwaschen und ungenau, verglichen mit dem, wovon Leibniz sprach: dem Tag im Jahr 1673, als der junge Leibniz (damals noch kein Baron), eine Rechenmaschine unter den Arm geklemmt, von Bord eines Schiffes gegangen war, das ihn von Calais herübergebracht hatte, dann von einem Leichter zu diesem Pfeilerkopf, genau an diesen Punkt, befördert worden war und die Bekanntschaft des jungen Daniel Waterhouse von der Royal Society gemacht hatte.
Leibnizens Erinnerung war nicht minder präzise. »Ich glaube, es war – hier …« – dabei tippte er mit der Fußspitze auf einen flachen Stein am Rand des Pfeilerkopfes -, »wo ich den Fuß aufsetzte.«
»So sehe ich es auch vor mir.«
»Natürlich haben wir beide unrecht, wenn es den absoluten Raum gibt«, fuhr Leibniz fort. »Denn während dieser einundvierzig Jahre hat die Erde sich gedreht und die Sonne umkreist und die Sonne, soweit wir wissen, eine große Strecke hinter sich gebracht. Also habe ich in Wirklichkeit nicht hier meinen Fuß aufgesetzt, sondern an irgendeiner anderen Stelle, die jetzt weit draußen im interstellaren Vakuum
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