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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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der schärfste Beobachter war, den es je gab. Willst du mir wirklich weismachen, dass ausgerechnet er nicht zwischen einem lebenden und einem toten Patienten unterscheiden konnte?«
    »Wie ich sehe, hast du dir deine Meinung schon gebildet. Welchen Sinn hat es also, noch darüber zu debattieren?«
    Darauf brachen Newton und Leibniz in lautes Gelächter aus.
    »Was ist daran so witzig?«, wollte Daniel wissen.
    »Ihr habt uns stundenlang debattieren lassen«, rief Leibniz aus. »Nun, da Ihr in einer lästigen Frage herausgefordert wurdet, behauptet Ihr, keinen Sinn darin zu sehen.«
    »Ich brauche nur eine kleine Probe, Daniel«, sagte Newton. »Vergiss nicht, dass ich viele Jahre lang verschwindend geringe Spuren davon in Goldproben gesucht habe, die unendlich oft verdünnt und verfälscht worden waren. Meine Methoden sind jetzt hoch entwickelt. Ich brauche keinen Barren von dem Zeug. Nur eine Unze oder noch weniger – ein Stäubchen.«
    »Ich sage dir, Peters Prüfer hat jede Unze gewogen. Es ist keine übrig. Ich könnte ihn um die Erlaubnis bitten, eine kleine Probe zurückzubehalten, aber …«
    »Nein«, sagte Isaac, »ich glaube, davon solltest du lieber die Hände lassen.«
    Bei dieser Bemerkung fiel Daniel plötzlich der Ring an seinem Finger wieder ein, den Salomon ihm gegeben hatte und der aus konfundierten Abfällen von in Bridewell gestanzten Platten angefertigt worden war. Ein Prickeln lief ihm durch den Arm bis hinauf in den Schädel; doch er erstarrte und schwieg und hoffte, Isaac möge seine Gänsehaut nicht bemerken.
    »Isaac«, sagte eine Stimme. Daniel musste aufblicken, um sich zu vergewissern, dass es die von Leibniz war: etwas ungehörig, aber nur insoweit, als der Deutsche Newton bei seinem Vornamen angesprochen hatte, ohne das »Sir« davor.
    »Gottfried«, sagte Newton, um sich nicht lumpen zu lassen.
    »Vor siebenunddreißig Jahren kam ich inkognito an diese Gestade, um Euch einen Bund zwischen uns beiden vorzuschlagen. Es war ungefähr zwei Jahre, nachdem ich den Kalkül entwickelt hatte, nur um dann festzustellen, dass ich lediglich in Eure Fußstapfen trat. Mir war der Gedanke gekommen, dass wir auch noch andere gemeinsame Interessen haben und schneller mehr erreichen könnten, wenn wir zusammenarbeiteten. Daniel hatte mich darin ermutigt.«
    »Ich erinnere mich sehr gut an die Verkuppelung und den Kuppler«, sagte Isaac, »und an seine Schwäche für das Spiel mit dem Feuer.«
    Diese spitze Bemerkung war umso kränkender, als sie aus Isaacs Mund etwas eher Seltenes darstellte. Daniels rechter Arm hatte begonnen, sich schrecklich schwer anzufühlen, als zöge der Ring ihn hinunter – oder als hätten die Strapazen des Tages bei ihm einen Schlagfluss ausgelöst. Mit hängendem Kopf steckte er die schwere Hand in die Tasche seiner Kniehose.
    »Dann erinnert Ihr Euch so gut wie ich, dass die Flamme loderte, um alsbald zu ersterben«, sagte Gottfried. »Jetzt bin ich wieder hier, sicher zum letzten Mal. Wollt Ihr es Euch nicht noch einmal überlegen, Isaac? Wollt Ihr nicht Eurer Prinzessin – meiner Prinzessin – gehorchen und mit mir zusammenarbeiten und ein starkes Fundament unter das Weltsystem legen?«
    »Genau daran arbeite ich und habe ich gearbeitet«, antwortete Isaac. »Sollte nicht ich Euch fragen, Gottfried, ob Ihr mit mir zusammenarbeiten wollt? Was im Übrigen bedeuten könnte, dass Ihr auf die Monaden verzichten müsstet. Oh, ich sehe Euch schon an, dass Ihr nicht im Traum daran denkt, das zu tun.«
    »Dann lautet die Antwort nein.«
    »Die Antwort lautet ja . Aber es ist eine Frage des richtigen Zeitpunkts , Sir. Es ist nicht an Euch oder an mir oder an unserer Prinzessin zu diktieren, wie lange es dauern und wann es vollendet sein wird! Sie hätte es am liebsten jetzt erledigt – heute! Ihr habt ebenfalls große Eile, denn Ihr seid ein alter Mann – wir sind alle alte Männer – und in Sorge, Eure Zeit könnte ablaufen. Aber dies ist weder hier noch dort. Die Natur wird ihre Geheimnisse dann enthüllen, wenn es ihr genehm ist, und keine Rücksicht auf unseren Vorteil nehmen. Die Principia Mathematica wären vielleicht nie zustande gekommen, hätte die Natur uns nicht in den Achtzigerjahren einen Kometenschwarm geschickt und dessen Bahnen so angeordnet, dass wir aufschlussreiche Beobachtungen machen konnten. Es könnte zehn, hundert oder tausend Jahre dauern, bis sie uns den Schlüssel für die Auflösung der Rätsel schickt, über die wir heute gesprochen haben. Obwohl

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