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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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entgegnete Daniel, »deshalb werde ich in einer Bibliothek nach Euch Ausschau halten, Sir.«
    »Eine solche baue ich gerade«, rief Leibniz, »und dort werdet Ihr mich finden. Lebt wohl, Daniel!«
    »Lebt wohl, Gottfried!«, rief Daniel, und dann stand und schaute er eine Weile, während das Boot immer kleiner wurde und sich dann ganz im Durcheinander der Schiffe im Pool von London verlor, dort unter den verkohlten Zinnen des Tower. Es war fast ein Spiegelbild dessen, wie Leibniz einundvierzig Jahre zuvor gleichsam aus dem Nichts aufgetaucht war, nur dass der Spiegel beschlagen und schlierig war. In diesen Jahren hatte sich nämlich viel verändert, und Daniel hatte nicht mehr die scharfen Augen eines jungen Mannes.

Greenwich
    EINEN MONAT SPÄTER (18. SEPTEMBER 1714)
    Lasst andere Fürsten, umgeben von buckelnden Sklaven,
frohlocken über den uneingeschränkten Gehorsam
dummer Kerle, die kein Gefühl für Freiheit und kaum
etwas anderes haben, womit sie prahlen können, als dass
sie es, wie so viele Baumstümpfe und Steine, ertragen
können, dass man sie tritt und auf ihnen herumtrampelt,
während ein König von Großbritannien sich nahezu als
Einziger im ganzen Universum rühmen darf, ein Herrscher
über vernunftbegabte Wesen zu sein.
     
The Mischiefs that ought justly to be apprehended from
a Whig-government
Anonym (Bernard Mandeville zugeschrieben), 1714
     
     
     
     
    »Das ist nun etwas, was man nicht alle Tage sieht!«, rief Roger Comstock, Marquis von Ravenscar, aus. Es war das Erste, was er in einer Viertelstunde – für ihn eine lange Zeit – gesagt hatte, und es stieß Daniel aus einer Art Wachkoma, in das er während dieser dritten Stunde, die er und Roger nun schon in dieser Schlange standen, gesunken war.
    Daniel fuhr hoch und schaute sich um.
    Philosophen kamen ständig nach Greenwich, und manche lebten sogar hier, denn oben auf dem Hügel stand das Observatorium. Könige und Königinnen kamen selten her, wiewohl der Ort ihnen gehörte. Architekten kamen häufig her und wünschten fast immer, sie hätten es nicht getan. Denn Bauvorhaben in Greenwich waren immer mit Geldschwierigkeiten verbunden, und die Bauten schienen schneller zu verfallen, als sie errichtet werden konnten.
    Inigo Jones war so geschickt gewesen, diesen Pfuhl der Verzweiflung immer wieder für kurze Zeit aufzusuchen und tatsächlich etwas gebaut und mit einem Dach versehen zu bekommen, ehe es im Sumpf versinken konnte: das war das Queen’s House, und das Geheimnis seines Erfolges bestand darin, dass es klein war. Das verdammte Ding schien eine Meile vom Fluss entfernt zu liegen. Den Eindruck hatten jedenfalls Daniel und die anderen in dieser Schlange, deren Kopf irgendwo in Mr. Jones’ Opus steckte und deren Schwanz hinten bis zum Ufer reichte. Dort führten ein paar Steinstufen zum Fluss hinunter, wo ein prachtvolles Galaboot festgemacht hatte. Weiter draußen in einem tieferen Teil der Themse ankerte das Marineschiff, das Georg, den König, von der eurasischen Landmasse herübergeholt hatte. Daniel konnte diese Dinge nur sehen, weil er und Roger zu guter Letzt den Fuß und (eine halbe Stunde später) schließlich den Kopf einer der geschwungenen Treppen erreicht hatten, die zur Terrasse des Queen’s House hinaufführten. Von dort waren sie nach einigen Minuten des Schlurfens und Schwankens bis zum Haupteingang gelangt. Sie befanden sich auf der Schwelle. Daniel stand mit dem Rücken zum Eingang und genoss den Blick – soweit vorhanden – auf den Fluss. Roger mit seinem hermelinartigen Instinkt für dunkle, brodelnde, verseuchte Orte schaute in die entgegengesetzte Richtung. Durch die geöffnete Tür strömte ein Miasma aus Rosenwasser und Achselschweiß, versetzt mit dem penetranten Geruch von frischer Farbe, pulsierend von einer an Beowulf gemahnenden Mischung aus Deutsch und Englisch. Da Daniel es nicht fertigbrachte, sich umzudrehen und nachzusehen, was Roger so interessant fand, überschritten die beiden die Schwelle in dieser janusköpfigen Konstellation. Daniel war überzeugt, ungefähr eine Stunde hinter ihnen in der Schlange flüchtig Sir Christopher Wren gesehen zu haben, und hatte versucht, auf irgendeine Weise dessen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und ihn durch verstohlene Gesten dazu zu bewegen, sich vorzudrängeln. Doch das war nirgendwo auf der Welt schlechter möglich als hier. Vor etwas über zwanzig Jahren hatte man Wren hinzugezogen, um dem Gelände eine Struktur zu geben, wie nur er es vermochte.

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