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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Seitdem war es sein Ort. Er arbeitete unentgeltlich – geplant war der Bau eines Hospitals für Seeinvaliden. Königin Mary hatte nach der Schlacht bei La Hougue im Jahr 1692 begonnen, den Plan voranzutreiben, war aber zwei Jahre später gestorben. Niemand konnte sagen, wann sich ein bisschen Bares aus der königlichen Schatzkammer ergießen würde, aber immer wenn es passierte, verpulverte Wren es unverzüglich für große Steinblöcke, die er an den Ecken und später entlang der äußeren Begrenzungslinien dessen ablud, was seiner Vorstellung nach hier gebaut werden sollte. Er war sich natürlich völlig darüber im Klaren, dass er den eigentlichen Baubeginn nicht mehr erleben würde. Später geborene und unbedeutendere Architekten könnten wohl die Details verpfuschen, aber niemand würde die tatsächlichen Gebäude an einer anderen Stelle hochziehen können als da, wo Wren diese Fundamentsteine in die Erde geschleudert hatte. Sein Mitarbeiter Nick Hawksmoor, der die Genialität dieser Strategie begriffen hatte und mit wachsender Begeisterung dabei war, hatte kürzlich zu einem skandalös niedrigen Preis einen großen Block bildhauertauglichen Marmor gekauft und dafür gesorgt, dass er am Flussufer abgeladen wurde; wenn sie genug Geld zusammenbekämen, um jemanden dafür zu bezahlen, dass er sich mit einem Meißel ans Werk machte, würden sie ihn in eine prachtvolle Statue der Person verwandeln, die dann zufällig König oder Königin war. Und so war das vorherrschende Bild, das Daniel von der Terrasse aus vor Augen hatte – und dem Wrens ganze Aufmerksamkeit gehörte -, das kolossaler, von Riesenhand gelegter Fundamente: eine gestaffelte Anordnung von Rechtecken – ein pythagoreischer Traum. Insofern das Bild nur Fundamente und keine richtigen Gebäude aufwies, schien es all das zu bestätigen, was die Prinzessin von Wales vor einem Monat über das System selbst und die Bedeutung einer soliden philosophischen Grundlage dafür gesagt hatte. Das, womit Newton und Leibniz aufgewartet hatten – oder auch nicht -, kam ihm jedoch verglichen mit Wrens Werk ziemlich baufällig vor: ein weiterer Beweis dafür, dass Wren eine kluge Entscheidung getroffen hatte, als er sich von der reinen Philosophie abkehrte und sein Genie auf die Architektur anwandte.
    Daniel gab die Hoffnung auf, Wrens Aufmerksamkeit zu gewinnen, und drehte sich nach vorne, um zu sehen, wovon Roger sprach.
    »Stimmt«, musste er zugeben, nachdem er es eine Weile auf sich hatte wirken lassen, »das sieht man nicht alle Tage.«
    Zwei Wangen, durch eine Grimasse zusammengeheftet und von einem starren Blick überwacht: Georgs Gesicht. Eine Menge Kleidung, um seinen Körper zu verbergen – wobei das nichts Ungewöhnliches war, sah man einmal davon ab, dass die Kleider hübscher waren als die der um ihn herum versammelten Leute: seines Hofstaates. Die meisten davon erkannte Daniel von seinem Besuch in Hannover wieder. Manche zeigte er Roger, der von allen gehört hatte – und, wie sich herausstellte, mehr über sie wusste als Daniel -, aber eine Art Schlüssel brauchte, um Gerüchte, Verleumdungen, falsche Anschuldigungen und schlüpfrige Anekdoten mit Gesichtern verbinden zu können. Schon bald warfen alle eiskalte Blicke in Daniels Richtung, obwohl er erst ungefähr an zwölfter Stelle in der Schlange stand. Vielleicht hatten sie ihn dabei ertappt, wie er auf einige von ihnen gedeutet und Roger etwas zugeflüstert hatte. Es lag aber wohl eher daran, dass er das letzte Mal, als sie ihn in Hannover um den Zeitpunkt von Sophies Tod herum gesehen hatten, den senilen und nutzlosen Alten gegeben hatte. Dann war er zum Regenten ernannt worden. Nicht unbedingt ein Beweis für compos mentis , aber sie hatten es so interpretiert, dass er auf irgendjemandem einen heimlichen Einfluss ausübte. Sicher nicht auf Georg. Das Ausschlussverfahren ergab, dass er dann wohl Prinzessin Caroline am Gängelband hielt.
    Caroline schien nicht einmal im Raum zu sein. Doch, auf den zweiten Blick entdeckte er sie in der Ecke mit ihrem Ehemann. Die beiden hatten bereits ihren kleinen Schattenhof aus zumeist jungen, geistreichen Londonern um sich geschart, die alle zu viel redeten, lachten und böse Blicke von den Alten und nicht so Geistreichen ernteten, deren Gesichter eher dem neuen König zugewandt blieben. Es war seltsam offensichtlich und klar: Wenn man glaubte, lange genug zu leben, um beim Leichenzug Georgs I. dabei zu sein, nun, dann tendierte man eher zu dem künftigen

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