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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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die von Zeit zu Zeit Viehgedärme ausspie. Elf Fuß weiter kam der Abflussschacht eines Klosetts, das vermutlich im Hinterraum eines anderen Gebäudes lag. Wiederum zwei Klafter weiter auf der rechten Seite ein Abflussrohr, das zur Gefängnisküche gehören musste. Weitere dreißig schlammige Schritte jenseits davon um eine Biegung herum ein kleiner Frischwasserzulauf, gespeist aus der Überlaufrinne einer Zisterne mit Pumpe, die zwischen der Gefängnisküche und dem Verlies lag. Auf diese Weise wurde der Tunnel in beide Richtungen erforscht, und anhand der Berichte, mit denen die eifrigen, stinkenden Jungen immer wieder aus dem Abortloch auftauchten, entstand Stück für Stück ein zusammenhängendes Bild. Innerhalb eines Tages waren sie auf ein Stück verfallenes Mauerwerk gestoßen, neunzig bis hundert Fuß östlich des Aborts, das nichts anderes sein konnte als die Außenmauer des Verlieses selbst. Als sie ihre Ohren darandrückten, um zu horchen, waren sie überzeugt, Ketten rasseln zu hören: die massiven Eisenketten, die der Direktor des Fleet vom Newgate-Gefängnis geborgt hatte, um die Shaftoe-Bande in Fesseln zu legen. Darauf gingen sie mit Eisenstangen, Meißeln und umwickelten Hämmern hinunter, um den rissigen Mörtel, der die Mauer zusammenhielt, aufzuhacken und wegzukratzen. Nach zwei Tagen mit dieser Arbeit zog ein Bursche auf der anderen Seite – schwarz, also vermutlich Tomba – einen Ziegelstein heraus, wodurch ein faustgroßes Loch entstand, und sagte, die Grubenarbeiter dürften auf gar keinen Fall mehr Material entfernen, damit ihre Wärter die Veränderungen in der Mauer nicht bemerkten. Deshalb nahmen sie danach andere Vorbereitungsmaßnahmen in Angriff. Mehrere Abortschächte wurden von Jungen erklommen, die unter Londons überschüssigen Kaminfegern rekrutiert worden waren und sich daher in schmutzigen und engen Senkrechten zu Hause fühlten. Ein besonders geräumiger wurde identifiziert und in die Karte eingetragen als zu einem Bordell in einer Ecke des Bell Savage Inn gehörend: einer von mehreren Sackgassen, die gleich außerhalb der Gefängnismauer in dem rauchigen Labyrinth aus Spelunken und sogenannten Spunging-Houses – Häusern, in denen Schuldner vor ihrem eigentlichen Gefängnisaufenthalt für vierundzwanzig Stunden untergebracht wurden – zwischen dem Fleet und der Great Old Bailey lagen.
    In der zweiten Oktoberwoche hatte Daniel ein paar Tage lang das Gefühl, der Donnerstagabends-Bier-Club würde gar nicht mehr kommen. Der Verkehr, der den Abort in beide Richtungen belebte, erregte allmählich Aufmerksamkeit – weniger das Kommen und Gehen der Jungen selbst (denn einer von ihnen stand immer Schmiere, damit normale Abortbenutzer das Ein- und Aussteigen an der Schachtöffnung nicht mitbekamen), sondern die Spur ekelerregender Brühe, die sie auf dem Rückweg meistens hinterließen. Zugegebenermaßen fiel das in einem dunklen, feuchten, stinkenden Londoner Gefängnisscheißhaus weniger auf, als es in anderen Umgebungen der Fall gewesen wäre, aber manche hatten es doch bemerkt und fingen an zu reden, was Daniel großes Unbehagen bereitete. Nicht dass das alles gewesen wäre, was ihm Unbehagen bereitete! Je mehr Zeit er in dem Schankraum verbrachte, desto schlechter ging es ihm. Während der letzten Tage konnte er sich jedoch nicht länger als ein paar Stunden am Stück von dort losreißen. Am Nachmittag des Vierzehnten las er Dappas Auktionsankündigung ein halbes Dutzend Mal, unterbrochen nur von der erneuten Lektüre der Zeitungen des gestrigen und des heutigen Tages. Endlich wurde es dunkel, und der Raum begann sich mit Bierdurstigen zu füllen, und Saturn kam angeschlendert und gab ihm ein Zeichen, und dann ging, wie auch sonst, plötzlich alles viel zu schnell! Alles geschah zu schnell! Er war noch nicht bereit! Es war ein bisschen wie ein Jahr zuvor, als die Minerva aufgrund widriger Winde eine langweilige Woche um die andere vor der Küste von Massachusetts festgehalten worden war und Daniel, so ungläubig er auch sein mochte, für einen Wechsel des Windes gebetet hatte – nur um von Blackbeards Piratenflotte angegriffen zu werden, als dieser Tag endlich kam. Jetzt lag ein anderer Wechsel in der Luft, ein anderes Abenteuer stand bevor. Er war beunruhigt. Aber er redete sich selbst gut zu: Männer wie Jack Shaftoe gerieten ihr Leben lang von einem Abenteuer ins andere. Selbst sein Mathematiklehrer in Cambridge, Isaac Barrow, hatte sich einst im Mittelmeer mit Korsaren

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