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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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als würden seine Gedärme im nächsten Augenblick platzen. Old Partry war völlig in Vergessenheit geraten; er wurde an den Rand der Menge gedrängt, und die Perücke wurde ihm vom Kopf gerissen (was er, genau genommen, sogar unterstützte, indem er im richtigen Moment den Kopf schüttelte). Im Schatten des Gefängnisses streifte er seinen Mantel ab und trat dann ins Freie, ohne Kopfbedeckung und in einem schäbigen Aufzug, der gut zu dem passte, was die meisten Leute hier trugen. Er ging nach Süden, ganz um den Armen-Flügel herum, an der westlichen Seite des Gefängnisses entlang zurück und dann nach Norden, vorbei an der Zisterne und dem Haupttor (das jetzt mit Bier-Club-Kunden verstopft war, die nach Hause gehen wollten, sodass alle drei Gefängniswärter vollauf damit zu tun hatten, sich deren Gesichter genau anzuschauen). Daniel überquerte gemächlich den Bemalten Grund und schlenderte dann um das nördliche Ende des Gefängnisgebäudes herum. Der zerstörte Abort lag unmittelbar vor ihm. Er hatte das Fleet fast einmal umrundet, um ihn zu erreichen, aber auf diese Weise hatte er sich ihm nähern können, ohne an den Soldaten vorbeidefilieren zu müssen. Er trat ein, setzte sich auf die Bank, holte tief Luft, zog die Knie an und drehte sich auf dem Hintern, bis seine Füße über dem Loch schwebten. Sobald er sie eintauchte, umfassten starke Hände seine Knöchel und zogen sie nach unten. Schneller, als ihm recht war, folgte der Rest von ihm. Nur Kopf und Schultern lugten noch oben heraus, als er plötzlich durch das helle Licht einer Laterne geblendet wurde. Jemand kam zur Tür des Aborts herein! Ein Keuchen war zu hören. Daniel wurde nach unten gerissen, wobei er sich das Kinn am Rand des Lochs aufschürfte. Aus der oberen Welt ertönte ein Schrei, dann ein Krachen, als der Abortbesucher die Laterne fallen ließ. Das schartige Lichtoval über ihm war ausgelöscht.
    »Glaubt Ihr, dass sie Euer Gesicht gesehen hat?«, knurrte Saturn ihm ins Ohr. Aber Daniel war außerstande zu antworten. Eine Art lähmendes Entsetzen hatte ihn befallen, als Vorbote des Schreckens und, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Übelkeit. Jetzt begriff er erst, was es bedeutete, in einer Londoner Abwasserleitung zu sein – und er war noch nicht einmal richtig unten drin, denn Saturn trug ihn über einer Schulter, während er den Tunnel entlang auf eine jenseits der Biegung des Ochsenjochs verborgene Lichtquelle zuwatete.
    Daniel hätte die Flucht ergriffen, wäre da nicht die beschämende Tatsache gewesen, dass er eine Woche lang andere Leute dafür bezahlt hatte, das zu tun.
    Er litt. Die Zeit verging. Sie waren jetzt in einem anderen Teil des Tunnels, mit mehr Licht und mehr Menschen. Ein großes Loch war aus der Mauer herausgehauen worden. Männer arbeiteten in einem Gewölbe mit niedriger Decke. An dessen gegenüberliegender Wand gab es eine massive Tür; in den Spalt zwischen ihr und ihrem Pfosten hatte man Keile getrieben, damit die Soldaten, selbst wenn sie über den Lärm des Pöbels hinweg etwas hörten und nachschauen kämen, sie nicht öffnen könnten. Drei der am übelsten aussehenden Kerle, die Daniel je untergekommen waren, lagen auf dem Boden, als frönten sie dem Müßiggang; aber natürlich waren sie krank und schwach und mit hundert Pfund schweren Ketten aus dem Newgate gefesselt. Ein Bursche mit einem Hammer und einem Locheisen schlug die Ketten von ihnen ab, ein Hand- oder Fußgelenk nach dem anderen. Als Daniel bei ihnen ankam, war der erste frei und setzte sich auf, um sich die Handgelenke zu reiben. »Wir haben uns wochenlang beschwert, dass sie uns keine Latrine gegeben haben«, bemerkte er, »und jetzt gehen wir eine runter .«
    »Rauf trifft’s eher«, entgegnete Saturn. »Ich hoffe, Ihr seid kräftig genug, eine Leiter hochzuklettern, Danny.«
    »Ich hoffe, dass dieser alte Knacker auf Eurer Schulter es ist«, gab Danny zurück.
    »Er besitzt versteckte Reserven«, sagte Saturn.
    »Er sollte lieber aufhören, sie zu verstecken«, sagte der schwarze Mann – wobei es unter diesen Bedingungen gar nicht einfach war, Hauttöne zu unterscheiden.
    Dadurch und durch weiteres Gespött angestachelt, wand Daniel sich und verlangte, aufrecht in den Tunnel gestellt zu werden. Das Zeug reichte ihm bis zu den Knien. Er stand es durch, indem er sich sagte, dass er in einem gewissen Sinn überleben würde. »Wenn schon welche von uns bereit sind, lasst uns gehen«, schlug er vor.
    »Wir bleiben zusammen, besten Dank«,

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