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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Moralpredigt gehalten, und er hatte mir einiges über den Stolz zu sagen. Und meine Erinnerung ging zurück ins Amsterdam des Jahres 1685, als ich zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen hatte. Die eine bestand darin, in die Welt hinauszugehen und ein Geschäftsmann zu werden und eine Menge Geld zu verdienen und das alles, um einer gewissen Lady zu imponieren und sie glauben zu machen, ich sei der richtige Mann für sie. Die andere, dieses Abenteuer abzuschreiben, alles zu verlieren, in Amsterdam zu bleiben, weiterhin der nutzlose Vagabund zu sein, der ich immer gewesen war, und für Essen, Unterkunft etc. auf besagte Frauensperson angewiesen zu sein.«
    »Für welche habt Ihr Euch entschieden?«, fragte der Junge.
    »Ich mache dir keinen Vorwurf, dass du das nicht erraten kannst«, sagte Jack, »denn wie ganz London weiß, war ich der Mann des Geldes, Jack der Falschmünzer, und ich war auch ein Landstreicher, so, wie du mich hier siehst. Die Antwort lautet, dass ich mich dafür entschied, mein Glück zu versuchen. Scheiterte. Alles verlor. Dann ein Glück fand, nach dem ich nie gesucht hatte. Es jedoch verlor. Zurückbekam. Verlor. Ein anderes fand – die Geschichte wiederholt sich irgendwie ständig.«
    »Ja, das dachte ich auch gerade.«
    »Worauf ich hinauswill, ist jedenfalls, dass ich wieder da bin, wo ich angefangen habe, und mir wird allmählich klar, dass ich vor derselben Entscheidung stehe wie damals – nur ist jetzt alles anders! Wäre ich in Amsterdam geblieben, hätte sie mich geliebt – oder mich als lästige Gesellschaft empfunden? Hätte ich sie geliebt? Oder sie als zu rechthaberisch und sittenstreng empfunden?«
    Diese und andere rhetorische Fragen und unwägbare Geheimnisse der Schöpfung sprudelten aus Jacks Mund, bis ihm bewusst wurde, dass er damit den Jungen vertrieben oder in Schlaf versetzt hatte. Er war wieder allein im Verurteiltenloch und würde es noch eine Weile bleiben. Diese Verhandlungsstrategie der Gefängniswärter war plump und durchschaubar, aber deswegen nicht weniger effektiv. Irgendwann würden sie kommen und anbieten, ihm gegen etwas Silber leichtere Ketten anzulegen oder ihn gegen Gold in eine Wohnung neben dem Kelterhof zu verlegen. Offensichtlich erwarteten sie, einen höheren Preis zu erzielen, wenn sie ihn vorher eine Weile schmoren ließen. Das Verurteiltenloch war nicht so dunkel wie die Presskammer, denn oben in der Wand befand sich ein Fenster, das ein bisschen Licht von der Newgate Street hereinließ. Doch dann ging die Sonne unter und dieses Fenster wurde dunkel. Jack, der nicht einmal ein Kupferstück besaß, um sich eine Kerze zu kaufen, blieben zur Unterhaltung nur noch die Bilder in seiner Erinnerung.
    Er versetzte sich noch einmal in diesen schnurgeraden, engen Durchgang. An dessen anderem Ende befand sich eine Art Törchen, von manchen das Janustor genannt, wo vom Gefängnis zum Bailey strebende Häftlinge nach links gingen, wenn sie weiblich, und nach rechts, wenn sie männlich waren, sodass die beiden Geschlechter in verschiedene Häftlingsverschläge geführt wurden. Das geschah nur, um den Schein zu wahren. Innerhalb des Newgate vermischten sich Männer und Frauen ungehindert. Besucher des Old Bailey dagegen sahen eine strikte Trennung in den Verschlägen und stießen (so mutmaßte Jack) ob der tugendhaften Führung dieser Institution tiefe Seufzer der Erleichterung aus. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen wurden die Gefangenen einer nach dem anderen aus den Verschlägen gelassen, und jeder kam ein paar Minuten später zurück. Die Glücklicheren unter ihnen rauchten buchstäblich noch von frisch eingebrannten Brandmalen, die weniger Glücklichen dagegen kamen unversehrt und ohne Brandmal zurück, weil sie für Tyburn oder für Amerika bestimmt waren. Am Ende der Sitzungen wurden sie jedenfalls alle zusammen – männlich oder weiblich, gebrandmarkt oder zum Tode verurteilt – durch das Janustor geschleust, wo sie den Rückweg durch die Rinne zum Newgate-Gefängnis antraten. Und genau da im Old Bailey, unweit dieses Törchens, gab es eine Stelle, wo ein freier Mensch stehen und jedem vorübergehenden Häftling direkt ins Gesicht schauen konnte.
    Die meisten, die sich dort einfanden, waren Diebesfänger. Davon waren gestern, nachdem Jack verurteilt worden war, viele da gewesen. Aber als Jack diese Szene noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren ließ, bildete er sich ein, da hätte auch eine Frau gestanden, ein Frau, die einen dichten

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