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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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kennt. Er wendet sich dem Eingang zu. Herein tritt der Sekretär des Ersten Lords des Schatzamtes, Kerbstockschreiber und Rechnungsführer der Königlichen Schatzkammer (in einer Person) in seinen feinsten Gewändern. Am Arm führt er den beinahe ebenso gut gekleideten Stellvertretenden Rentmeister der Königlichen Schatzkammer. Diese Männer haben natürlich auch Namen und Lebensläufe, aber Daniel hat Erstere vergessen, und für Letztere interessiert er sich nicht. Das ist eine jener Gelegenheiten in England, bei denen Namen keine Rolle spielen, sondern nur Titel. »Guten Morgen, Dr. Waterhouse!«, ruft der Erste aus, »habt Ihr Euren Schlüssel?«
    Das ist eine unsinnige Frage, denn Daniels Anwesenheit wäre völlig sinnlos, wenn er den verdammten Schlüssel nicht bei sich hätte; aber der Mann, der sie stellt, tut das mit einem Augenzwinkern. Es ist lediglich eine rhetorische und scherzhafte Gesprächseröffnung und vielleicht ein Weg, Daniel zu taxieren.
    »Habt Ihr Euren, Sir?«, gibt Daniel zurück, worauf der bedrückend fröhliche Kerbstockschreiber (etc.) ihn aus seiner Tasche fischt. Um nicht zurückzustehen, klopft der Stellvertretende Rentmeister (etc.) sich auf die Brust; dort hängt ein Schüssel an einem Band.
    Daniels Schlüssel befindet sich in seiner linken Manteltasche, und seine Hand hält ihn umklammert. In der rechten Tasche umfasst er ein kleines hölzernes Kästchen, einem Schmuckkästchen gleich, das er vor ein paar Stunden aus einem Schrank bei Isaac stibitzt hat. Für einen Moment befällt ihn ein leichter Schwindel, und um nicht hinzustürzen und sich den Kopf auf den alten Bodenfliesen aufzuschlagen, spreizt er die Beine etwas weiter. Der Schlüssel und die Truhe, der Brauch der sechs Schlösser – es ist, als wäre er in ein verborgenes, nie veröffentlichtes Kapitel der Offenbarung geworfen worden, vielleicht sogar ein ganz eigenes Buch, eine apokryphe Fortsetzung der Bibel.
    Draußen im Kreuzgang sind noch weitere Stimmen zu hören, und Daniel rechnet damit, dass sie allmählich die erforderliche Zahl erreichen. Als der Kerbstockschreiber Daniels Interesse bemerkt, tritt er beiseite und nimmt eine Nach-Euch-Haltung ein – ob nun aufgrund von Alter, Rang oder allgemeiner Unterwürfigkeit, vermag Daniel nicht zu sagen. Daniel ist als Mitglied der Schatzamtskommission hier. Er führt den Kerbstockschreiber und den Stellvertretenden Rentmeister wieder hinaus in den zugigen Kreuzgang. Vor der Tür der Pyxkammer haben sich Männer eingefunden, von denen manche auf den gewaltigen, bunt gefleckten Steinbänken sitzen, andere auf Steinen stehen, die die Namen ziemlich berühmter Toter tragen. Doch als sie Daniel und die anderen kommen sehen, stehen sie alle auf und drehen sich um – als hätte er hier das Sagen! Was er – angesichts des Inhalts seiner Taschen – mit Fug und Recht hat. »Guten Morgen, meine Herren«, sagt er und wartet, dass das Antwortgemurmel abebbt. »Sind wir vollzählig?« Er sieht einen auffällig herausgeputzten Kleriker, der aber kein Bischof ist (keine Mitra), und vermutet, dass müsse der Dekan von Westminster sein. Zwei andere Gentlemen treten vor und spielen dabei mit großen Schlüsseln. Ein paar sehr junge Kirchenmänner halten sich mit Laternen bereit. Dann ist da noch eine Abordnung verwirrter/misstrauischer Hannover’scher Adliger in Begleitung eines sympathisch wirkenden englischen Herzogs, der entsandt wurde, ihnen alles zu erklären, und Johann von Hacklheber in der Funktion eines Dolmetschers.
    »Der Kronrat Seiner Majestät hat eine Münzprobe verlangt«, erinnert Daniel sie, »und, sofern niemand Einspruch erhebt, meine ich, wir sollten seiner Forderung Genüge tun, indem wir die notwendigen Stücke holen und sie ohne weitere Umstände zur Sternkammer bringen.«
    Niemand erhebt Einspruch, und so wendet sich Daniel mit vielsagendem Blick der verschlossenen Tür zu. Der Sekretär des Ersten Lords des Schatzamtes, Kerbstockschreiber und Rechnungsführer der Königlichen Schatzkammer begibt sich auf einer Seite von ihm in Position und ein anderer Schlüsselträger auf der anderen. Sie bilden eine zweite Staffel hinter einer anderen Gruppe aus drei Schlüsselträgern, die sich unmittelbar vor der Tür aufgestellt haben: dem Dekan von Westminster, dem Stellvertretenden Rentmeister der Königlichen Schatzkammer und einem Vertreter der Gesellschaft der Goldschmiede. Der Dekan tritt an die Tür, zieht einen Schlüssel heraus, der an einer goldenen Schnur auf

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