Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Schale. Die zweite Hälfte war dagegen präsentabler. Daniel hob sie vom Boden auf und brachte sie zurück, und sie halbierten sie erneut und dann noch einmal – ein kleines bisschen war es, als schnitten sie ein Stück von Achten in reales , außer dass sie die Teile kleiner und ganz unregelmäßig machten – bis sie die falsche Guinee in einen Haufen zertrümmerter Scherben verwandelt hatten. Als Mr. Threader fand, dass sie eine angemessene Palette von Formen und Größen beisammenhatten, kratzten sie sie alle in eine Waagschale und wogen sie – worauf beide Männer die Zahl niederschrieben.
    Und dann kamen sie stillschweigend überein, dass sie fertig waren. Daniel brachte seinen Besucher hinaus; Mr. Threader hatte eine Sänfte genommen, damit keiner sah, dass der Wäger dem Münzmeister einen Besuch abstattete, was in der Tat sehr verdächtig ausgesehen hätte.
    »Habt Ihr – irgendwie – die Kommission beeinflusst , mich auszuwählen?«, wollte Mr. Threader wissen.
    »Ich habe den Einfluss genutzt, der mir zur Verfügung stand.«
    »Wegen meines schlechten Gewissens.«
    »Nein, in Wahrheit hätte wohl jedes Mitglied der Kommission auf die eine oder andere Weise beeinflusst werden können«, sagte Daniel. »Auf Euch bin ich wegen Eurer Fingerfertigkeit gekommen. Ich hoffe nur, Tricks mit Bruchteilen von Münzen gelingen Euch ebenso gut wie die mit ganzen Guineen.«
    »In erster Linie gilt es, die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken – mit Geschicklichkeit hat das weniger zu tun, als man gemeinhin annimmt. Aber ich werde heute Nacht mit denen hier üben.«
    »Und ich werde üben, mich auf ablenkende Weise zur Schau zu stellen«, versprach Daniel ihm.
    »Dann werdet Ihr die ganze Nacht auf sein, denn von selbst fällt Euch das nicht zu.«
    »Ich werde sowieso die ganze Nacht auf sein«, sagte Daniel, »und alle möglichen unnatürlichen Dinge tun.«

FREITAG
    29. OKTOBER 1714

Westminster Abbey
    MORGENS
    Er kommt viel zu früh an, weil er den Verkehr wegen der Hinrichtungen überschätzt hat. So viele Leute wollen sehen, wie Jack Shaftoe ausgeweidet und gevierteilt wird, dass alle früh aufgebrochen sind, um sich an die Straße zu stellen. Daniel braucht nur aus Sir Isaac Newtons Stadthaus zu treten, dem düsteren Grölen, das gegen das nördliche Himmelsgewölbe widerhallt – einer Art Nordlicht aus dem Lärm der Menge – den Rücken zu kehren und ein paar Minuten durch ruhige Straßen zu schlendern, schon ist er im Broad Sanctuary: einer weiten offenen Fläche, die sich nördlich und westlich der Abtei ausdehnt.
    Er muss tatsächlich ein sehr alter und sonderbarer Mann sein, um sich einem fleckigen großen Gebäude wie diesem in offizieller Mission zu nähern. So merkwürdig ist dieser Auftrag, dass er zögert, unschlüssig, welchen Eingang er benutzen, welchen Presbyter er ansprechen soll. Aber der ganze Komplex befindet sich ohnehin nicht in der gewohnten Ordnung, denn immer noch sind Arbeiter damit beschäftigt, die zur Krönung errichteten Galerien und unüberdachten Tribünen wieder zu zerlegen. Mitglieder des aus Urlondonern und Iren bestehenden Abbautrupps stolzieren mit großen, grob gesägten Brettern auf der Schulter durch die Türen. Nicht ein einziger Kirchenmann ist in Sicht. Daniel beschließt, den westlichen Eingang zu benutzen, der etwas weniger verstopft zu sein scheint als der nördliche mit den bulligen Kerlen und hölzernen Hindernissen. Kurze Zeit später stellt er erstaunt fest, dass er über den Stein geht, wo Tompion elf Monate zuvor beigesetzt worden ist. Schon etwas Besonderes für dieses Zeitalter, dass einem Uhrmacher eine letzte Ruhestätte zugedacht wurde, die zwei Generationen zuvor einem Ritter oder General vorbehalten gewesen wäre.
    Er lässt Tompions Gebeine hinter sich, duckt sich unter einem wandelnden Brett hindurch und geht hinaus in den Kreuzgang. Das ist ein quadratischer Hof, der von einem Viereck aus gedeckten steinernen Säulengängen eingerahmt, sonst aber ungeschützt den Elementen ausgesetzt ist. Und die bestehen heute aus einer kühlen, strahlenden Augustsonne und einem kalten, heftigen Wind. Daniel schiebt die Hände in die Taschen, zieht die Schultern hoch und geht mit steifen Beinen bis zur nächsten Ecke, biegt nach rechts ab und folgt dem östlichen Säulengang bis fast ans Ende. Dort befindet sich in der Mauer zu seiner Linken eine nicht besonders gekennzeichnete mittelalterliche Festungstür aus massiven Bohlen, die mit Scharnieren, Bändern,

Weitere Kostenlose Bücher