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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Jahrhunderte später unerledigt sind. Und wie soeben deutlich wurde, ist das Herausholen dieser drei Dinge inzwischen längst zu einer Zeremonie erstarrt.
    Eine Prozession nimmt Aufstellung und marschiert zurück durch den Kreuzgang und von dort in das Querschiff und durch den Chorraum der Abtei. Die Männer, die die Galerien im nördlichen Querschiff abbauen, scheinen zu spüren, dass etwas sehr Gewichtiges im Gange ist; sie bringen sich gegenseitig zum Schweigen und machen der Prozession Platz. Manche ziehen den Hut, andere nehmen Habachtstellung ein und präsentieren ihr Brecheisen. Kaum ist jedoch das Ende der Prozession zum Nordausgang hinaus, verfallen sie wieder in ein fröhliches Durcheinander.
    Draußen wendet die Prozession sich nach rechts und begibt sich in einen Durchgang zwischen der Abtei und der St. Margaret’s Church. Ihr Weg zum Fluss ist unmittelbar durch den bedrückenden, reich verzierten Klotz der Westminster Hall versperrt. Am linken oder nördlichen Ende davon liegen diejenigen Verzierungen, die zum Schatzamt einschließlich der Sternkammer gehören. Hier hat damals im Juni Sir Isaac Newtons Arbeit begonnen. Hier wird jetzt, oder sobald Daniel und die anderen die Straße überquert haben, die letzte Abrechnung stattfinden.

Kapelle des Newgate - Gefängnisses
    Die Kapelle sieht völlig anders aus: Die schwarzen Tücher sind von den Fenstern abgenommen und dazu verurteilt worden, für eine gewisse Zeit, aber nicht länger als ein Achtel eines Jahres, in einer Holzkiste eingesperrt zu sein, wo die Motten sich an ihnen laben werden. Durch die Fenstergitter darf ein wenig Licht hereinfallen. Die Schaulustigen in den hinteren Bänken sind weg. Auf dem Altar vor dem Verurteiltengestühl befindet sich anstelle des Sarges ein Tablett mit Brot und Wein. Der Wein sieht aus, als müsste er fingerhutweise dosiert werden, was für Jack eine Beleidigung darstellt, denn wenn die Kirche schon glaubt, was sie ja eindeutig tut, dass ein kleiner Schluck Messwein etwas Gutes ist, warum sollte ein ganzer Eimer davon nicht ganz hervorragend sein?
    Da es aber auf dem Weg nach Tyburn noch viele Gelegenheiten geben wird, sich zu betrinken, bleibt es bei einem vorübergehenden Anflug von Verärgerung. Er ist hier, um der Kirche einverleibt zu werden. Es ist die nächste Stufe in dem sich spiralförmig höher schraubenden Ritual der Kränkungen und Qualen, das vergangene Nacht mit dem Ausrufer begann und in ein paar Stunden mit der Vierteilung seinen Höhepunkt finden wird.
    Jack Shaftoe wird separat hereingeführt, nachdem die armen Teufel, die die Nacht im Verurteiltenloch verbracht haben, bereits mit hinter dem Rücken gefesselten Armen den Mittelgang entlanggeführt und an die furchtbare Bank angekettet wurden. Er kommt sich vor wie eine Braut, die letzte Person, die die Kirche betritt, diejenige, nach der sich alle umdrehen. Sollen sie ruhig! Da Jack nicht eine Minute dieses außergewöhnlichsten aller Tage vergeuden will, ist er nämlich schon vor zwei Stunden aufgestanden und hat die seither verstrichene Zeit dazu genutzt, sich mit seinem Hinrichtungsanzug herauszuputzen.
    Er weiß nicht, woher der Hinrichtungsanzug stammt. Er kam im Morgengrauen, abgeliefert, wie der Gefängniswärter versicherte, von einem blonden Mann, der in einer gewaltigen schwarzen Kutsche vorfuhr und kein einziges Wort sprach.
    Um den ganzen Anzug zu transportieren, hat es mehrerer Schachteln bedurft. Als Jack sie zum ersten Mal zu Gesicht bekam, waren sie allesamt schon von den Wärtern durchsucht worden, die sichergehen wollten, dass sich unter der ganzen Pracht keine Klingen, Pistolen, Sägen oder Höllenmaschinen verbargen. Deshalb war alles in Unordnung, alles mit schmutzigen Handabdrücken befleckt. Die dem Hinrichtungsanzug innewohnende Erhabenheit wurde dadurch jedoch nicht im Geringsten gemindert.
    Die innerste der drei Schichten des Hinrichtungsanzugs – der Teil, der Jack unmittelbar berührt – umfasst eine weiße Unterhose aus ägyptischer Baumwolle, lange weiße Strümpfe aus türkischer Seide und ein Hemd, das aus genug feinem weißem irischem Linnen gemacht ist, um eine Kompanie Fußsoldaten während eines kurzen Krieges im Ausland mit Aderpressen und Verbänden zu versorgen. Und wohlgemerkt, das Adjektiv »weiß« bedeutet hier echtes blendendes Salzweiß und nicht das schmutzige Beige, das auf schlecht beleuchteten Stoffmärkten als Weiß durchgeht.
    Die nächste Schicht besteht aus Beinkleidern, einer langschößigen

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