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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Dinge, die er gar nicht getan hat, reagieren sie. Als Antwort auf Scherze, die er Gerüchten zufolge gemacht haben soll, zucken Lachsalven durch die Menge. Nicht einmal jeder Hundertste weiß aus eigener Anschauung, dass Jack hier ist, weil die meisten von ihnen (wie Jack noch aus der Zeit weiß, als er selbst zu einem solchen Pöbel gehörte) nur anderer Leute Rücken sehen können. Sie sind durch die Legende angelockt worden, Jack Shaftoe werde nach Tyburn geschleift, und da sie nun schon einmal hier sind, ihn aber nicht sehen können, behelfen sie sich mit der Vermutung, dass er da draußen irgendwo ist. Jack Ketch – durch den Verlust dieser zwei Guineen immer noch gereizt und bestürzt – sitzt zweifelsohne auf dem vordersten Platz, sieht er doch Jacks Vorstellung gewissermaßen aus seiner eigenen Loge auf Rädern.
    Jack vermutet, dass jeder Wachtmeister, Gerichtsdiener, Büttel, Wächter und Gefängniswärter Londons zu dem Gefolge gehört. Aber das reicht schon an einem normalen Hinrichtungstag nicht aus, um die Menge in Schach zu halten, und deshalb sind auch immer Soldaten mit Halbpiken anwesend. Heute sind da aber auch noch diese berittenen Schwadronen. Jack hatte erst angenommen, das sei Kavallerie, an ihrer Fahne jedoch erkannt, dass es die Kings Own Black Torrent Guards sind – niemand Geringeres als die schrecklichen Dragoner, die den Tower hüten. Ausgesprochen nett von ihnen, zu dieser Hinrichtung zu kommen, wenn man bedenkt, wie viel Ärger er ihnen in den zurückliegenden Monaten bereitet hat. Eine großartige Geste, fürwahr, und vermutlich eine berechnete. Von allen Regimentern Seiner Majestät dürfte keins begieriger darauf sein, seinem Tod beizuwohnen, und keins weniger geneigt, ihn entwischen zu lassen. Und so sieht Jack von seinem niedrigen Aussichtspunkt auf der rückwärts gerichteten Schleife vom Pöbel nur das, was zwischen den sich scherenartig bewegenden Beinen der Dragonerpferde hindurch zu erkennen ist. Aber das ist eine ganze Menge.
    Die King’s Own Black Torrent Guards sind nun in eine Art Zange hineingestolpert und haben sich umklammern lassen. Im Norden von St. Sepulchre liegt nämlich Smithfield, ein ziemlich großes, offenes Gelände, auf dem der Viehmarkt und gelegentlich eine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen 8 stattfindet. Die beiden großen Straßen, die im Bogen von Smithfield herunterkommen, sind Gilt-Spur, die sie bereits passiert haben, und Cow-Lane, die vor ihnen liegt. Smithfield hat, wie jetzt offensichtlich wird, als gewaltiger Sammelplatz und Verschlag für Hinrichtungszuschauer gedient; zumindest seit ein paar Tagen, vermutlich aber auch schon länger, sind Feiernde hier zusammengekommen, um leergetrunkene Schnapsflaschen in lodernde Feuer zu schleudern. Das Läuten der Kirchenglocken war das Signal für sie, und jetzt strömen sie die Gilt-Spur Street und die Cow Lane herunter. Eine Million von ihnen setzt sich vor die Prozession und eine Million dahinter.
    In der Nähe des östlichen Endes der Brücke, die Hooke vor ein paar Jahren über den Fleet Ditch schlug, stößt die Cow Lane auf die Holborn. Das ist eine strategische Kreuzung. Würde die Prozession dort irgendwie vom Pöbel aufgehalten, hätte sie keine Möglichkeit, den Fäkalienstrom des Fleet zu überqueren, sie wäre eingeschlossen und der Weg zur Hinrichtungsstätte bliebe ihr verwehrt. Jack kann es nicht sehen, aber er weiß, dass sie dorthin unterwegs sind, denn es geht leicht abwärts und er muss sich auf der Schleife etwas zurücklehnen. Sie bewegen sich den Snow Hill hinab. Die ganze Parade müsste jeden Moment lärmend zum Stehen kommen. Doch zu seinem Erstaunen biegen sie am Fuß des Hügels ohne Verzug links ab und betreten das Pflaster der Brücke. Sie haben den Fleet Ditch schon zur Hälfte überquert, als Jack sieht, warum: Eine Artilleriekompanie hat dort einen Brückenkopf errichtet und mehrere Geschütze aufgestellt, die, vermutlich mit Traubengeschossen und Ketten geladen, die Cow Lane hinunter auf Smithfield gerichtet sind. Ein paar Ellen weiter zielt eine zweite Batterie am steinigen Ufer des Ditch entlang nach Süden, was hunderttausende zurückhält, die sich dort angesammelt haben. So ist der Pöbel gezwungen, ihn aus der Ferne vorüberziehen zu sehen. Jack erhebt sich auf seiner Schleife und winkt mit einem Arm. Zehntausend Menschen drängen sich, um einen Blick auf das große Ereignis zu erhaschen. Es ist schwer zu sagen, wie viele erdrückt werden, aber mindestens hundert

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