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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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auszieht, sie ein paar Mal über dem Kopf herumwirbelt, wodurch es in alle Richtungen Münzen regnet, und sie in die Menge schleudert. Irgendwo unterwegs hat er auch seine Perücke verloren. So ist er jetzt bis auf seine weiße Unterwäsche, die Schuhe und die Schlinge entkleidet. Als Armer geht er seinem Schicksal entgegen, wie dieser Lazarus aus der Lesung des Gefängnisgeistlichen heute Morgen in der Kapelle.
    Die anderen sind alle tot und schmücken nun zwei Querbalken des Galgens. Der dritte ist ausschließlich Jack vorbehalten. Der klettert auf den Karren, den der Kutscher unter die freie Stelle manövriert. Jacks Augen sind müde von allem, was sie gesehen haben, und so neigt er den Kopf für einen Augenblick nach hinten und begrenzt seinen Blick auf den Himmel, den der durch die Seile abgewetzte Balken in zwei Hälften unterteilt.
    Ganz in der Nähe ertönt Gewehrfeuer. Er lässt das Kinn wieder sinken. Zum ersten Mal sieht er die Menge von einem erhöhten Aussichtspunkt. Ihren Rand kann er trotzdem nicht erkennen. Aus einer schwarzen Phalanx von Quäkern oder Barkern oder Ähnlichen wabert schwarzer Pulverdampf empor. Niemand weiß, warum.
    Unten werden Vorbereitungen getroffen.
    Explosionsartig schwirren Fliegen von Jack Ketchs für Menschen gemachtem Hackklotz auf, als der Henker ein zusammengerolltes Bündel daraufhievt. Nachdem er ein paar Schnürbänder gelöst hat, schüttelt er den Inhalt heraus: einen vollständigen Satz Ausweidewerkzeug. Der Tisch ist eine mit Grind bedeckte Fläche von der Größe eines Bettes. Ketch verteilt das Werkzeug rundherum und prüft dabei mit einem Daumen die eine oder andere Klinge. Besonders sorgfältig hantiert er mit ein paar rostigen Fesseln. Auf diese Weise gibt er Shaftoe zu verstehen, dass er damit rechnen kann, während der späteren Phasen der Operation lebendig und bei Bewusstsein zu sein.
    Als sie vor ein paar Stunden den Kelterhof verließen, konnte Ketch mit Fug und Recht davon ausgehen, dass er am Ende des Tages ein reicher Mann sein würde. All diese goldenen Knöpfe, all diese kostbaren Kleidungsstücke, die Münzen in den Taschen, das alles war für ihn. Er würde aus den Schulden herauskommen und seinen Kindern Schuhe kaufen.
    Nun wird Ketch gar nichts bekommen. Da Shaftoe es bisher vermieden hat, Ketch in die Augen zu schauen, weiß er nicht und kümmert sich letztlich auch nicht darum, ob Ketch auf die unablässige Vernichtung seines Vermögens mit Flüchen, Tränen oder entgeisterter Ungläubigkeit reagiert. Doch jetzt schauen sie einander an, Shaftoe oben auf seinem Wagen und Ketch unten in seinem Schlachthof, und Shaftoe sieht, dass Ketch vollkommen ruhig ist. Keine Spur mehr von der Warmherzigkeit, die er zuvor im Kelterhof gezeigt hat. Es ist, als wäre das nie gewesen. Selbst wenn Ketch seine Kapuze abzöge, verriete das Gesicht darunter nicht mehr als die schwarze Ledermaske. Er hat eine kühle berufsmäßige Haltung angenommen. In gewisser Hinsicht ist es für Ketch leicht, Rache zu üben, denn er braucht nichts anderes zu tun, als das Urteil des Gerichtshofes buchstabengetreu zu vollstrecken und ihn in terrorem hinzurichten.
    Jack fragt sich, ob diese Strategie eine gute Idee war. Ein jüngerer Mann hätte jetzt Angst. Aber in einer solchen Phase ist es normal, es sich anders zu überlegen. Das zeichnet einen guten Plan aus.
    Man erwartet von ihm, dass er nun ein paar Worte spricht.
    »Ich, Jack Shaftoe, auch bekannt als L’Emmerdeur , König der Landstreicher, Ali Zaybak, Quecksilber, Herr des Göttlichen Feuers und Jack der Falschmünzer bereue hiermit all meine Sünden und befehle meine Seele in Gottes Hände«, sagt er, »und bitte um nichts als ein anständiges, christliches Begräbnis mit meinen vier Vierteln, falls man sie alle findet, um sie in dieselbe Kiste legen zu können. Und meinem Kopf auch. Es ist nämlich wohlbekannt, dass die Mitglieder der medizinischen Fakultät sich, während ich hier spreche, bereits um ihren Sektionstisch in der Warwick Lane versammelt haben, wo sie ihre Skalpelle schärfen und sich bereitmachen, meinen Kopf aufzuschneiden, damit sie mein Gehirn auf der Suche nach dem Ort durchkämmen können, in dem der Alb der Perversheit sich all diese Jahre über aufgehalten hat. Mir wäre es lieber, wenn das nicht geschähe. Damit begebe ich mich in Eure Hände, Mr. Ketch. Und ersuche Euch nur darum, Eure Knoten doppelt zu überprüfen, denn letzte Nacht, als Betty kam, um mir und den anderen Burschen im

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