Principia
polierten Schale der Waage um. Der Klumpen – ein abgeflachtes Kügelchen – fällt heraus und dreht sich auf der Waagschale surrend im Kreis. Ein paar Sprenkel Knochenasche sammeln sich um ihn herum; nachdem Mr. Threader sie weggeblasen hat, stößt er das Goldklümpchen mit der Zange ein- oder zweimal prüfend an, um sich davon zu überzeugen, dass keine weiteren Verunreinigungen an ihm haften geblieben sind. Als er sicher ist, dass sich auf dieser Waagschale nichts anderes als reines Gold befindet, setzt er auf die gegenüberliegende Waagschale ein Eichgewicht von zehn Gran. Das ist nicht annähernd genug, um das Klümpchen aufzuwiegen – so weit, so gut -, und deshalb fügt er jetzt mithilfe der Pinzette mit den Elfenbeingriffen ein Eingrangewicht hinzu. Dann ein halbes Gran. Die Waage hat sich in Bewegung gesetzt, neigt sich aber immer noch zu dem Goldklümpchen hin. Mr. Threader arbeitet jetzt mit so winzigen Eichgewichten, dass Daniel sie kaum erkennen kann: Es sind unendlich kleine Quadrate aus Goldfolie, in die Bruchzahlen eingestanzt sind. Mr. Threader häuft sie ungeordnet an, dann hält er verblüfft inne. Er nimmt viele kleine Gewichte wieder weg, die er durch ein größeres ersetzt, und druckst ein wenig herum. Schließlich nimmt er die Eichgewichte allesamt aus der Waagschale, setzt sie in ihre jeweiligen Vertiefungen in der Lade und legt das einzelne Zwölfgrangewicht auf, mit dem er zuvor die Stichprobe aus Guineen-Bruchstücken gewogen hat.
Die Waagschalen schwingen lange, die Nadel schlägt gleichermaßen zu beiden Seiten des Totpunktes aus. Nach einer Weile obsiegt die Reibung, und die Nadel hört auf, sich zu bewegen. Sie steht so nah an der absoluten Mitte, dass Mr. Threader, um sie abzulesen, gezwungen ist, Nase und Mund mit der Hand zu bedecken, damit sein Atem sie nicht beeinträchtigt, und das Ding praktisch mit den Wimpern blank zu putzen.
Dann weicht er zurück, der einzige Mensch im Raum, der auch nur einen Muskel bewegt. Denn jeder hat die Verzögerung bemerkt und das Zwölfgrangewicht auf der anderen Waagschale gesehen: sehr merkwürdig.
»Der Goldklumpen wiegt zwölf Gran«, verkündet Mr. Threader.
»Da muss ein Fehler vorliegen«, entgegnet ein verwirrter älterer Goldschmied. »So etwas ist unmöglich, es sei denn, sämtliche Guineen enthielten nicht das geringste Quäntchen unedle Metalle!«
»Oder«, flüstert Mr. Threader Daniel zu, »die unedlen Metalle wurden in der Kapelle zu Gold umgewandelt!«
»Bei der Probe muss irgendein Fehler passiert sein«, fährt der ältere Goldschmied fort, während er Zustimmung heischend von einem seiner Kollegen zum anderen schaut.
Doch William Ham verwehrt sie ihm. »Das ist eine schwer aufrechtzuerhaltende Anschuldigung, bar jeden Beweises«, bemerkt er.
»Den Beweis haben wir unmittelbar vor Augen!«, klagt der Ältere, auf die Waage deutend.
» Das beweist nur, dass Sir Isaac gute Guineen macht und dass das britische Münzwesen die gesündeste Währung auf der ganzen Welt ist«, beharrt William. »Jedes Mitglied dieser Kommission hat die Münzprobe beobachtet – ja sogar daran teilgenommen . Ist es nicht so? Keiner von uns hat irgendeine Unregelmäßigkeit bemerkt. Durch unser Schweigen haben wir ihren Verlauf bereits gebilligt und ihr Ergebnis angenommen. Jetzt einen Rückzieher zu machen und zu behaupten, es war alles falsch, würde heißen, vor jenen Mann zu treten und zu sagen: ›Mylord, wir wissen nicht, wie man eine Münzprobe durchführt!‹« William zeigt auf das Ende der Sternkammer, wo der Herzog von Marlborough ins Gespräch mit einem anderen Würdenträger vertieft ist.
William ist Bankier, kein praktizierender Goldschmied. In den Gremien dieser Gesellschaft ist er von niederem Rang und geringer Bedeutung. Außerhalb ihres Clubhauses jedoch, in der City of London, hat er sich eine gravitas erworben, die ihm, wenn er das Wort ergreift, allgemeine Aufmerksamkeit sichert. Aus diesem Grund haben sie ihn zum Prüfer-Schmelzer bestimmt. Vielleicht hat der ältere Goldschmied deshalb die Münzprobe in Frage gestellt; er ist durch Williams Einfluss verängstigt. Solche politischen Strömungen sind für Daniel zu unterschwellig, als dass er ihnen folgen könnte; für ihn ist nur wichtig, dass die Goldschmiede und die Vertreter der Stadt durch Williams Worte gleichermaßen überzeugt wurden. Wenn sie den älteren Goldschmied überhaupt noch eines Blickes würdigen, dann nur über die Schulter, als schauten sie sich
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