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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Leben damit, dass ich das Unkraut des Herzogs vernichte und in seinem Jagdrevier wildern gehe.«

Blenheim Palace
    »Gut! Dann soll es eben so sein! Ich komme auch ohne Schuhe zurecht!«, bellt ein Mann, der von Alter und Statur her Ähnlichkeit mit Jack hat. Er ergreift mit beiden Händen eins seiner Knie und reißt es hoch. Aus einem Stiefel, der fast bis an den Rand im Schlamm versunken ist, kommt ein nackter Fuß zum Vorschein. Er setzt den Fuß auf, packt das zweite Knie und wiederholt das Ganze. Jetzt steht Bob Shaftoe, ein freier Mann, fast bis zu den Knien im Schlamm. Seine Stiefel sind nicht weit von ihm gestrandet und füllen sich rasch mit Regen. Er salutiert vor ihnen. »Gut, dass ich euch los bin!«
    »Hört, hört!«, ruft eine Stimme von einem Zelt aus, das in der Nähe auf leicht erhöhtem und festerem Grund aufgestellt wurde. Ein Mann erhebt sich von einem Tisch und wendet sich ihm zu. Der Tisch ist von mehreren Kerzen erleuchtet, obwohl es erst zwei Uhr nachmittags ist.
    Bob trägt einen breitkrempigen Filzhut, der, auf mehrere Pfützen verteilt, annähernd eine Gallone Regenwasser trägt. Er neigt den Kopf auf eine wohl überlegte und berechnende Art, worauf die Pfützen umhergleiten, sich vermischen, im Slalom um den Rand des Hutes fließen und von seiner Rückseite abspringen, wo sie hinter ihm in den Schlamm platschen. Das ermöglicht ihm nun eine klare Sicht in das Zelt.
    Der Mann, der gerade gesprochen hat, steht in dessen Eingang und blickt auf ihn herab; am Tisch sitzt ein Mann mit Holzbein in einem Faltstuhl und nimmt dankbar eine Tasse heiße Schokolade von einer Frau an, die sich an einem kleinen Kochfeuer im Hintergrund zu schaffen gemacht hat. »Bob«, ruft der stehende Gentleman, »Ihr seid jetzt barfuß im Regen, was mich daran erinnert, wie ich Euch vor fast fünfzig Jahren das erste Mal gesehen habe, und ich muss sagen, es steht Euch gut zu Gesicht, und Ihr könnt diese Stiefel getrost dort verrotten lassen und braucht nie mehr so ekelhafte neumodische Vorrichtungen zu tragen. Und nun kommt zu uns zurück, ehe Ihr Euch den Tod holt. Abigail hat heiße Schokolade gemacht.«
    Bob zieht mit einem Ruck einen Fuß aus dem Schlamm und stellt ihn auf einen großen Stein, den er dann als Stütze benutzt, um den anderen ebenfalls zu befreien. Dann schielt er noch einmal zu den verlassenen Stiefeln. »Sehen die verdammten Pläne an dieser Stelle ein Paar Stiefel vor?«
    »Dort sehen sie Buschwerk vor!«, verkündet der Holzbeinige und beäugt Bob durch einen Theodoliten, nachdem er zuvor einen auf dem Tisch ausgebreiteten Gartenentwurf konsultiert hat. »Aber macht Euch nichts draus, diese Stiefel werden lange vor der Pflanzzeit von Würmern zerfressen sein.«
    »Was weiß denn der Pfarrer von Blenheim über die Pflanzzeit?«
    »So viel wie ich über das Leben eines Pfarrers.«
    »Also so viel wie ich über das Leben eines Landedelmannes«, sagt der Herzog von Marlborough mit einem verdrießlichen Blick über eine halbe Meile Schlamm und Baumstümpfe hinweg auf den noch im Bau befindlichen Gebäudekomplex von Blenheim. »Aber wir müssen uns alle anpassen – müssen alle lernen. Mit Ausnahme von Abigail, die bereits vollkommen ist.« Abigail bedenkt ihn mit einem skeptischen Blick und einer Tasse heißer Schokolade. Bob kommt einen schmatzenden Schritt näher. Der (vormalige) Oberst und (jetzige) Reverend Barnes lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf die große Landkarte, die, verglichen mit der tristen Wirklichkeit da draußen, ausgesprochen bizarr aussieht. Er lässt den Blick über die ordentliche Geometrie des Entwurfs schweifen, bis er an einer kleinen Kapelle und einem nicht weit entfernten Pfarrhaus hängen bleibt.
    Marlborough sagt: »Wir werden von diesem Zelt aus einen letzten Feldzug führen und die Würmer aufsammeln, die dem berauschenden Duft von Bobs Stiefeln hierhin folgen. Bob wird studieren, wie man sich um Pflanzen, und Barnes, wie man sich um Seelen kümmert, ich werde lernen, wie man müßiggeht, und Abigail wird sich um uns alle kümmern.«
    »Das müsste eigentlich zu bewerkstelligen sein«, sagt Bob, »solange mein Bruder nicht auftaucht.«
    »Er ist tot«, versichert Marlborough. »Sollte er aber auftauchen, erschießen wir ihn. Und wenn er sich davon erholt, schicken wir ihn nach Carolina, wo er Seite an Seite mit seinen Sprösslingen arbeiten kann. Wie mir zu Ohren gekommen ist, seid Ihr, Bob, nämlich nicht der einzige Shaftoe, der einen neuen Anfang gemacht hat

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