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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Teil Londons sein würde, bemerkte er erst, wenn sich unter seinen Fenstern Säufer, Wegelagerer, Huren und Zuhälter zu versammeln begannen.
    Als Junge hatte Daniel in Drakes Haus in der Holborn Street ein Fenster auf der Rückseite des ersten Stocks öffnen und über eine Meile Hügel und sumpfige Senken hinweg auf ein unregelmäßiges Stück Rasen mit Namen Clerkenwell Green blicken können: ein Stück Allmende, das St. James’s und St. John’s voneinander trennte. Beide beherbergten einen alten religiösen Orden und bildeten einen zusammengewürfelten Komplex von Friedhöfen, Häusern, alten papistischen Klöstern und Nebengebäuden. Die dazugehörigen Kirchen waren wie alle anderen katholischen Kirchen des Reiches während der Regentschaft Heinrichs VIII. anglikanisiert und vielleicht ein wenig geplündert worden. Und als Cromwell angetreten war, den Anglikanismus durch eine radikalere Konfession zu ersetzen, waren sie gründlicher geplündert worden. Nun wurde, was von ihnen geblieben war, von London eingeschlossen.
    Und doch war es besser, eingeschlossen als an den Rand gedrängt zu sein, denn die Stadt besaß eine Art von Ordnung, die dem Randgebiet fehlte. Was auch immer sich in Clerkenwell Green an Verbrechen, Verwerfungen und Scheußlichkeiten ereignet haben mochte, während es von neuen Gebäuden umzingelt wurde, hatte sich ein Stückchen nach Norden verlagert und war von Schandtaten einer geruhsameren und geordneteren Art ersetzt worden.
    Eine halbe Meile nordwestlich von Clerkenwell Green gab es eine Stelle, wo der Oberlauf des Fleet ein kurzes Stück weit parallel zur Straße nach Hampstead verlief. Zwischen Straße und Fluss war das Gelände niedrig und schimmerte von veränderlichen Wasserflächen. Doch am gegenüberliegenden Ufer, näher bei Clerkenwell, war der Boden fest, und so konnte man Sträucher und Gemüse darin pflanzen, ohne dass sie ertranken, und Gebäude darauf setzen, ohne dass sie im Schlamm versanken. Dort war allmählich ein Weiler mit Namen Black Mary’s Hole entstanden.
    Ein Kerl, der die städtischen Grenzen von Clerkenwell Green hinter sich lassen und sich über die Felder nach Black Mary’s Hole aufmachen wollte, müsste sich mit einigen Hindernissen auseinandersetzen. Denn ihm unmittelbar im Weg stand der alte Komplex von St. James, und auf dessen anderer Seite befand sich ein neu gebautes Gefängnis, dem sich direkt ein von Quäkern betriebenes Arbeitshaus anschloss. Und die Sorte Kerl, die sich die Zeit damit vertrieb, nach Black Mary’s Hole zu gehen, würde solche Einrichtungen instinktiv meiden. Also würde er seine Reise damit beginnen, dass er sich westwärts hielte und Clerkenwell Green durch eine Art Schließmuskel verließe, der in die Turnmill Street führte. Zur Linken oder londonwärts führte die Turnmill zu den Viehmärkten von Smithfield und wurde gesäumt von Schlachthäusern, Talgkerzenmachereien und Abdeckereien: kaum ein verlockender Ort für einen Spaziergang. Zur Rechten, in Richtung offenes Land, gabelte sie sich: wurde rechts zur Rag Street und links zu Hockley-in-the-Hole, einer Straße, die ihren Namen vermutlich daher hatte, dass sie entlang einer Biegung des Fleet entstanden war, den man dort an so vielen Stellen überbrückt hatte, dass er sich ganz allmählich menschlicher Wahrnehmung entzog.
    Hockley-in-the-Hole war so etwas wie ein der Freizeitgestaltung dienendes Anhängsel der Fleischmärkte. Brachte man die Tiere in den Schlachtpferchen von Smithfield des Profites wegen zu Tode, so wurden sie auf den Hahnenkampf- und Bärenhetzplätzen von Hockley-in-the-Hole zum Vergnügen aufeinandergehetzt, bekämpft und zerrissen.
    Die Rag Street war nicht sehr viel erfreulicher, aber sie brachte einen direkt aus der Stadt. Schon nach hundert Schritten blieben die Gebäude zur Rechten zurück und machten Gärten Platz. Zur Linken setzten sich die Gebäude noch eine Zeitlang fort, waren aber nicht mehr so unappetitlich: mehrere Bäckereien und dann ein Bad, das Standespersonen zu Wasserkuren aufsuchten. Wenige hundert Schritte weiter hörten die Gebäude auch auf dieser Seite auf. Von hier aus konnte man über eine Viertelmeile offenes Gelände hinweg nach Black Mary’s Hole blicken. Es war dies, mit anderen Worten, der erste Ort, an dem ein vom Gewühl zum Wahnsinn getriebener und am Kohlenrauch erstickender Londoner ins Freie ausbrechen konnte. Der Drang dazu war durchaus verbreitet. Und so bildete der gesamte Geländeabschnitt von der Islington

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