Principia
in der Menschenmenge. Er wirkte wie eine Erscheinung, eine Prophezeiung dessen, was Daniel zustieße, wenn er hier stolperte. Also ließ dieser jeden Anspruch auf Würde fahren. Er trat so weit wie möglich nach rechts zur Seite, sodass er fast an der Ziegelsteinmauer eines Gebäudes kauerte, nahm seinen Spazierstock in die rechte Hand, damit er ihm nicht weggetreten wurde, und schob für den Fall, dass das doch geschah, die Hand durch die Schlaufe am Knauf. Dann ließ er sich vom Verkehrsstrom mittragen.
Er hatte etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt und nahm vor sich bereits Tageslicht wahr, als er spürte, wie sich in der Menge vor ihm einer Welle gleich Unruhe fortpflanzte, und im Aufblicken sah er ein Riesenvieh von einem Pferd in schwarzem Zaumzeug mit Silberschmuck, das eine kleine Kutsche zog. Sie war von absonderlicher Bauart: Mit ihren in die Länge gezogenen, geschwungenen Formen erinnerte sie an einen Geparden im Sprung. Kurz bevor ihm aufging, dass er in Schwierigkeiten war, identifizierte sein Verstand sie als eines der neuen Gefährte, die man Phaetons nannte. Sie würde sich durch diesen Engpass zwängen. Oder vielmehr, sie würde, ohne ihr Tempo zu verlangsamen, hindurchfahren und das Zwängen den Fußgängern überlassen.
Die Menge konnte es nicht fassen – es war schlichtweg unmöglich! Doch das zwanzig Fuß lange und acht Fuß hohe Fahrzeug, gezogen von einer Tonne tänzelnden, eisenbeschuhten Fleisches bremste nicht ab. Die Enden der Deichseln ragten wie Turnierlanzen vor. Eine davon konnte einem durch den Kopf fahren wie eine Pike durch einen Kürbis, und wenn man ihr auswich, konnte einem immer noch der Fuß von einem Rad zermalmt werden, sodass man sich der stets heiklen Entscheidung zwischen Amputation und Wundbrand gegenübersah. Hundert Menschen verhielten sich rational. Die Summe dieser rationalen Entscheidungen hieß Panik. Daniels Beitrag zur Panik war folgender: Etwa acht Fuß vor sich sah er einen vertieften Ladeneingang und kam zu dem Schluss, dass er sich, während alles den Phaeton anglotzte, zwischen der Menge zu seiner Linken und dem Schaufenster zu seiner Rechten hindurchquetschen und in diesen Eingang drücken konnte. Er duckte sich unter der Schulter eines größeren Mannes hindurch und eilte vorwärts.
Auf halber Strecke verdunkelte sich sein linkes peripheres Gesichtsfeld, als ein anbrandender Schwall von Leibern den weißen Himmel auslöschte.
Daniel sah ganz deutlich, dass er nun sterben würde, und zwar auf folgende Weise: von Tonnen von Fleisch und Knochen gegen die Ladenfassade gequetscht. Das Schaufenster würde nicht nachgeben; es bestand aus kleinen, viereckigen Scheiben in einem Gitter von Holzstäben, so dick wie sein Handgelenk. Irgendwann würde es unter dem Druck der Menge vielleicht zu Bruch gehen, doch seine sämtlichen Rippen würden dieses Schicksal früher erleiden. Er versuchte, sich noch einen Schritt vorwärtszustürzen, doch das machte die Sache noch schlimmer; und sein Fuß kam zu früh und auf unsicherem Boden auf. Er war auf den Oberkörper des Besinnungslosen getreten, den er Momente zuvor bemerkt hatte. Er verlor das Gleichgewicht, gewann jedoch sechs Zoll an Höhe, und das löste eine Art Kletterinstinkt aus. Wenn die Fensterstäbe robust genug waren, ihm die Rippen zu brechen, dann konnten sie dabei wenigstens auch sein Gewicht tragen. Er warf beide Arme in die Luft wie ein Baptist in Ekstase, packte einen waagerechten Stab und zog sich daran hoch, während er sich zugleich mit beiden Füßen von dem Schlafenden oder Toten abstieß, dies alles in demselben Moment, in dem die Masse ihn emporhob wie ein Schilfrohr, das in die Brandung gefallen ist, und gegen das Gebäude schmetterte. Seine Füße hatten keine Bodenhaftung mehr. Der Schwerkraft wirkten die Knie, Schultern, Hüften und Köpfe mehrerer Leute entgegen, die allesamt als kurze, knochige Salve auf ihn eingeprasselt waren. Hätten sie ihn untergepflügt, wäre es um ihn geschehen gewesen, aber sie hatten ihn nach oben gedrückt. Mit einer Wange war er so kräftig gegen eine Fensterscheibe gestoßen, dass das Glas halb aus dem Rahmen gesprungen war und ganz dicht an seinem Auge ein ominöses Ticken von sich gab.
Da er sein Gewicht nicht mehr halten musste, löste er den Griff seiner Linken von dem Stab über ihm, führte sie an seiner Nase vorbei, zwängte die Finger zwischen Kieferknochen und Fenster, krümmte sie über die Kante des Rahmens und machte sich den Stab der lockeren
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