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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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gelangweilt.
    »Abgeblitzt«, versetzte der Reitlehrer, »meistens schon im Stall … Sie gibt ihrem Pferd die Sporen und läßt ihre Galane einfach stehen.«
    Der Wald mündete in eine lange, flache Koppel. Die Hufe schleuderten Erdklumpen hoch.
    »Da …«, sagte der Reitlehrer zu Stahmer, »sehen Sie zu … da lernen Sie was …«
    Natascha war in Galopp gefallen. Ihre Begleiter versuchten, sich anzuschließen. Aber das Mädchen spannte sich plötzlich wie ein Bogen über die Mähne. Sie hatte das beste Pferd, und sie saß am sichersten im Sattel. Stahmer verfolgte, wie sie vorwärtsschoß. Schnapsidee, dachte er.
    Seine Gedanken waren bei Margot. Dann beim Auftrag. Beides machte Fortschritte. In der Villa in Schlachtensee war die Fälschung bald fertig. Ein paar Einzelheiten fehlten noch: persönliche Dinge, kleine Hobbies, Angewohnheiten höherer russischer Offiziere, wie sie zum Beispiel General Denikin kannte …
    Ich muß es schaffen, überlegte Stahmer. Es muß sein, ich muß eingeladen werden. Ich muß mich mit dem alten Kommißhengst einmal privat unterhalten. Er gab seinem Pferd die Sporen. »Sei brav, alter Junge …«, murmelte er in die langen Ohren, »reiß deine alten Zirkusknochen zusammen … einmal noch …«
    Das Pferd bäumte sich auf, schoß nach vorn. Stahmers Beine schlossen sich wie ein Schraubstock um den Rumpf des Tieres. Früher, als Junge, hatte er auf einem Gutshof in Ostpreußen Reiten gelernt. Seitdem war er aus der Übung gekommen. Aber jetzt ging es wieder, weil es gehen mußte.
    Die weiße Bluse vor ihm blähte sich im Wind wie ein Segel. Stahmer überholte die Verehrer Nataschas. Sein hochbeiniger Hannoveraner war zwar alt, aber noch schnell. Der Agent lachte, als er die verdutzten Gesichter der Überholten sah. Maulwurfshaufen spritzten, Koppelzäune flitzten. Natascha drehte sich um, lächelte spöttisch, drehte sich noch einmal um. Die anderen waren längst abgehängt.
    Da passierte es.
    Das Mädchen verpaßte einen Graben.
    Das Pferd stürzte, überschlug sich. Eine Sekunde lang sah es aus, als würde die weiße Bluse vom Pferdeleib begraben. Stahmer riß den Zügel zurück. Da war Natascha schon wieder auf den Beinen.
    Der Agent sprang ab. Es war ihr nichts passiert. Sie waren allein.
    »Warum so eilig?« fragte Stahmer außer Atem.
    Natascha ließ die Arme hängen. Ihr Gesicht war sehr blaß. Sie sprach mit hartem Akzent. »Sie reiten sehr gut«, sagte sie fast wider Willen.
    »Ein bißchen aus der Übung«, entgegnete er bescheiden.
    Er nahm ein Taschentuch und wischte vorsichtig ihr Gesicht ab. Natascha ließ es willenlos geschehen. Ihre Haut war weich. Ihre Augen schimmerten dunkel, als er sie berührte.
    »Na, dann nach Hause«, sagte er.
    Natascha Denikin atmete tief. »Bitte …«, erwiderte sie leise, »würden Sie davon nichts erzählen … Herr …«
    »Stahmer«, entgegnete er und verbeugte sich, »natürlich nicht …«
    Sie ritten schweigend nebeneinander her. Im Schritt.
    »Was machen Sie eigentlich?« fragte sie.
    »Einen Morgenritt«, versetzte der Agent.
    »Und sonst?«
    »Vieles …«, wich er aus.
    Natascha betrachtete ihn von der Seite. Sie sah die kühnen, etwas schräg zueinander abgesetzten Augen, die breiten Schultern, das knappe Gesicht. Der Sturz war vergessen.
    Beim Club-Gebäude stiegen sie ab, tranken an der Bar eine halbe Flasche Sekt. Die Russin revanchierte sich mit einer Einladung zum Tee. Dann gab sie Stahmer die Hand. »Es würde mich freuen, wenn Sie kämen«, sagte sie. »Im übrigen warne ich Sie vor meiner Familie … sie ist ebenso zahlreich wie neugierig …«
    »Na, ja …«, ging er auf ihren Ton ein, »ich spiele Daniel in der Löwengrube …«
    »Auf Wiedersehen, Daniel!« rief sie ihm nach.
    Er drehte sich noch einmal nach ihr um. Ihre Augen glänzten. Es konnte genauso gut eine Aufforderung sein wie eine Warnung.

39
    Auf der Rückfahrt geriet Werner Stahmer in einen Partei-Aufmarsch, mußte fluchend den Wagen stehenlassen und aussteigen. Fast an allen Fenstern wehten Fahnen. Der Wind bauschte die Flaggen. Die Veteranen trugen Orden, und die Kinder hatten schulfrei. Braun beherrschte das Straßenbild. Deutschland feierte des Führers Geburtstag im schlichten Eintopf-Stil.
    Aus den Lautsprechern dröhnte Marschmusik, unterbrochen von markigen Reden. Die Schaufenster zeigten zwischen Trikotagen und Süßwaren den lorbeergeschmückten Hitler. Die Augen des Führers waren so kitschig blau wie die handkolorierten

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