Prinz-Albrecht-Straße
Plakat nicht an, statt dessen betrachtete er Margot, ihren Nacken, ihre Haare, als sie vor ihm über die teppichbelegten Stufen des Aufgangs ging. Der Flimmerstreifen war ihm gleichgültig. Die Vorreklame interessierte ihn nicht. Seine Blicke hefteten sich auf die schlanken Hände, die Margot über dem Knie faltete. Wochenschau. Wozu? Sein Blick tastete über die Silhouette des Mädchens, als ob er es streicheln wollte. Einmal war Werner Stahmer kein Akteur, sondern ein Zuschauer.
Dann lief der Vorspann des Hauptfilms. Gleichgültig überflog der Agent den Titel. Dann erschrak er. ›Verräter‹ hieß der Streifen.
»Möchten Sie ein Stück Schokolade?« fragte Margot.
Ihre Stimme klang sanft. Silberpapier knisterte.
»Ein Cognac wär' mir lieber«, erwiderte er lachend.
Er betrachtete mißtrauisch die Leinwand und das Mädchen. Zufall? Dann ging es los. Eine Spionage-Schnulze mit dem Prädikat ›staatspolitisch wertvoll‹, ein pathetischer Appell an die schlechten Instinkte des Publikums. Neunzig Minuten lang verrieten René Deltgen und Paul Dahlke die Geheimnisse des Dritten Reiches um die Wette. Am Schluß liefen die Volksschädlinge der Polizei ins Netz. Sie wurden im Flugzeug abgeschossen oder versanken im Morast. Polizeihunde bellten. Agentenschicksal …
Am liebsten hätte sich Werner Stahmer hinter die Rangbrüstung zurückgezogen. Aber er mußte auf die Leinwand starren. Mit angewiderter Neugier. Mitunter spürte er einen Seitenblick Margots. Er erwiderte ihn nicht mehr.
Als das Licht aufflammte, schob er sich schweigend durch das Gedränge dem Ausgang zu.
»Hat es Ihnen gefallen?« fragte ihn Margot über die Schulter.
»Warum haben Sie ausgerechnet diesen Schmachtfetzen ausgesucht?« gab er zurück.
Die glänzende Helle des Vestibüls blendete ihn.
Sie lächelte. »Jetzt dürfen Sie den Schnaps trinken«, sagte sie, »mit mir.«
Er ließ sich von dem Mädchen einfach fortziehen. Sie gingen in die nächstbeste Kneipe und bestellten zwei Doppelte. Er schüttelte sich, als er das Glas geleert hatte.
»Brr«, sagte er.
Margot rührte den Schnaps nicht an.
Auf einmal begegneten sich ihre Augen. Stahmer schluckte. Margots Gesicht war völlig verändert. Noch nie hatte der Agent gesehen, wie weich, versonnen und … mitleidig sie aussehen konnte.
»So ist das also«, sagte sie leise.
»Was?« fragte er stockend.
Margot sah ihn fest an, als suche sie etwas hinter seiner Stirn. »Nun, ich meine, wie Sie so leben und was Sie tun … wie eben im Kino, nicht wahr?«
Er schüttelte den Kopf. Nun begriff er endgültig, daß Margot nur seinetwegen in diesen Film gegangen war.
»Um Gottes willen«, lachte er, »Margot, vergessen Sie doch diesen Unsinn.«
Ihre Augen hielten ihn fest.
»Ist es so?« fragte sie fast ungeduldig. »Oder noch schlimmer … noch …!«
»Noch mieser, wollen Sie sagen«, ergänzte Werner Stahmer hart.
»Ja«, erwiderte sie.
»Nein«, sagte er mit gezwungener Gleichgültigkeit. »Das ist Unfug, das ist romantischer Kitsch … nichts weiter.«
Dann schwiegen sie beide. Er wollte sich von diesem Abend durch Margot loskaufen. Aber nun hatte ausgerechnet sie ihn wieder in sein Leben hineingestoßen. Werner Stahmer wunderte sich, daß er ihr nicht einmal böse sein konnte.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie leise.
Jeder Spott war vorbei. Seine Hand lag auf ihren schmalen Fingern. Wie von selbst. Sie erschraken beide. Wie junge Hunde bei der ersten Begegnung mit dem Spiegel. Dann wagten sie nicht mehr, sich zu rühren.
Schön, dachte Stahmer verschwommen, der bei den Frauen zu Hause war, der sie sonst mit kühlem Kopf zu erobern pflegte, der sie nahm, wie sie kamen, ob blond oder schwarz oder braun. Für den das alles nur ein Abenteuer war, das am Morgen endet, wenn er sich wieder zum Dienst fertigmachte, um auf den Straßen des Teufels zu marschieren.
Der Kellner näherte sich devot, dann grinste er gönnerhaft.
»Noch einen Doppelten?« fragte er.
Stahmer nickte zerstreut. Er kaute an einem Gedanken, formulierte eine törichte Frage. Auf einmal schoß sie ihm durch den Kopf, ohne daß er sie abwehren konnte. Und dann wuchs sie, drängte, flüsterte, wurde zu einer fixen Idee, zu einer fast schmerzlichen Sucht …
»Hören Sie, Margot«, sagte er rauh, »ich … ich müßte einmal ausspannen … würden Sie … ich meine … dürfte ich Sie einladen … Sie würden mir eine große Freude …«, der Rest verlief in wirrem Stottern.
Margot hob den Kopf.
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