Prinz-Albrecht-Straße
Ansichtskarten, die er gemalt hatte, bevor er sich entschlossen hatte, Politiker zu werden. Neben dem Vierfarbendruck befanden sich jeweils Schilder, schwarz-weiß-rot gefaßt, mit der Aufschrift: ›Deutsches Geschäft‹. Das System usurpierte und mißbrauchte den Begriff. Deutsch war auf einmal alles, seitdem die Saar an das Reich zurückgekommen war: die Marinaden, das Klosettpapier und der Kunstdünger. Und das alles hatte nach dem Motto: ein Volk, ein Reich, ein Führer, dem braunen Ordnungsstaat zu dienen. Jeder an seinem Platz, alles für Großdeutschland!
Der VDA zog blaue Kerzen. Der Reichskolonialbund hörte Vorträge über die Bekämpfung der Malaria. Der nationalsozialistische Rechtswahrerbund machte die Gerechtigkeit zur Hure. Der Bund deutscher Mädchen strickte Wollstrümpfe für das Vaterland. Die Redakteure in den Zeitungen versuchten, zum Geburtstag des Führers die Superlative des Vorjahres noch zu überbieten. Sie alle vegetierten im geistigen Getto ihrer braunen Lizenz.
Mit der Kunst sah es ähnlich aus. Sie wurde von Josef Goebbels bestimmt. Die Schwätzer dichteten, und die Dichter schwätzten. Und die Spießer marschierten. Wieder trat die SA zum Sturm an, der mit Sicherheit in einer Gastwirtschaft endete.
Werner Stahmer sah einer Abteilung unlustig entgegen. Voraus marschierte ein Standartenführer, ein geballtes Nichts im Gesicht. Die Männer hinter ihm sangen laut, aber falsch. Sie schwenkten den rechten Arm. Die Linke lag flach am Koppel, und dieses schloß direkt über der Leibesrundung. Auf dem Blechverschluß stand: ›Deutschland erwache!‹.
Viele Gesichter der Marschierenden wirkten schläfrig. Sie kamen in Dreierreihen, schlecht ausgerichtet. Und das alles deckte das mostrichfarbene Uniformhemd: intrigante Nutznießer, hilflose Schwächlinge, unbedarfte Idealisten und fanatische Hohlköpfe. Ein paar Linkshänder schwenkten den falschen Arm. Bei anderen war die Hand vom Koppelschloß zu weit nach rechts gerutscht. Es sah aus, als ob sie ihren Blinddarm abtasten wollten.
»… Wir werden weitermarschieren …«, grölte die Kolonne, »bis alles in Scherben fällt …«
Werner Stahmer lächelte süffisant. Beim Geburtstagsrausch, dachte er belustigt. Die Marschierer waren lächerlich. Aber bewiesen sie nicht die Harmlosigkeit des Systems? Diese Erkenntnis war jedenfalls für Stahmer, Heydrichs Vorzugs-Agenten, bequem, wenn schließlich doch unterdrückte Fragen in seinem Bewußtsein gärten.
Wie am Nachmittag, da er sich befehlsgemäß in der Prinz-Albrecht-Straße gemeldet hatte. Eine Intrige wucherte weiter, geplant, gezielt, geheim. Die Abteilung Ost war noch nüchtern, trotz Hitlers Geburtstag. In ihren Räumen ging das Licht nicht mehr aus. Die Prinz-Albrecht-Straße inszenierte ihren ersten blutigen Schlag auf internationaler Ebene. Und Stahmer leistete Beihilfe, ohne zu wissen, um was es ging. Es war doch nur ein Spaß, ein Abenteuer: zuerst ein Einbruch auf Befehl, und dann: Morgenritt auf Geheiß mit einer Russin, die ihm gefiel. Flirt im Dienst.
Auch ein anderer war mit der Sache zufrieden: der kleine Graveur Puch in der geräumten Villa in Schlachtensee. Er schuftete voller Dankbarkeit für die Partei, die sich schließlich doch noch seiner erinnert hatte.
»Wie weit sind Sie, Stahmer?« fragte Standartenführer Löbel.
»Alles in Ordnung«, meldete der Agent. »Ich hab' schon die erste Einladung …«
»Prima … aber denken Sie daran, daß wir keine Zeit zu verlieren haben.«
Stahmer nickte. »Was soll das eigentlich?« fragte er dann.
»Geht Sie nichts an«, versetzte Löbel und kam doch ins Reden: »Ganz große Sache … wir spielen den Russen Dokumente zu … falsche«, ergänzte der Standartenführer überflüssigerweise. »Kommen Sie.«
Sie meldeten sich bei Heydrich. Löbel durchschritt das Vorzimmer ohne Anmeldung, was er nur bei guter Nachricht wagen durfte.
Der Gruppenführer saß an seinem Schreibtisch, hatte die gestiefelten Beine lässig ausgestreckt und die Uniformjacke geöffnet. Er ließ das lange Lineal ein paarmal durch die Luft sausen. Er nickte ohne Überraschung, als ihm der Standartenführer die Fortschritte seiner Abteilung meldete.
»Gut«, sagte er, »nun kommt die Geschichte in Schwung … Stahmer«, wandte er sich an seinen Agenten, »wenn es soweit ist, lasse ich einem russischen V-Mann Ihre Adresse zuspielen …«
Er stand auf und lief mit langen, drahtigen Schritten hin und her. Seine Figur war so hager wie sein
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