Prinz-Albrecht-Straße
Graveurs, schüttelte ihn hin und her. »Mann, verstehen Sie denn nicht? Wachen Sie endlich auf!« Er schleuderte diesem kleinen Mann die Wahrheit ins Gesicht: »Sie haben hier Dokumente gefälscht … die Sache, an der Sie mitwirkten, darf keinen Mitwisser haben …« Stahmer atmete schwer. »Wer das Zeug anfaßt, berührt seinen eigenen Strick! Puch, ich kenne das! Sobald Sie mit der Arbeit fertig sind, werden Sie beseitigt!« Er faßte mit der Hand nach dem Kinn, das ihm ausweichen wollte, hielt es wie mit der Zange fest und setzte hinzu: »Ja, Mann, liquidiert … umgelegt!«
Das Gesicht des Graveurs verzog sich zu Ärger, zu Verachtung.
»Sie glauben mir nicht, was?« fauchte Stahmer den Graveur an. Seine Augen glänzten kalt. »Da kommt Ihr Verstand nicht mit, was?« gurgelte er. »Passen Sie mal auf, wie einfach das geht: Ihr Auftraggeber kommt und bringt gleich noch zwei, drei Kameraden mit … solche mit Stiefeln und Pistole … kapiert? Nur keine Aufregung, Meister Puch, die Kameraden sollen Sie nur zum Obergruppenführer begleiten oder vielleicht zum Reichsheini oder zum Führer persönlich … der sich bei Ihnen bedanken will …«
Der Graveur lehnte sich angewidert zurück.
»Ja«, fuhr Stahmer heiser fort, »dann fahren Sie zwischen Ihrer Ehrenwache … und fahren … und fahren … und dann denken Sie plötzlich: die Richtung ist doch ganz falsch … Ach wo, Herr Puch, die Richtung stimmt haargenau … direkt zum Staatsbegräbnis … und wenn's knallt … Meister, dann kapieren Sie endlich … daß es zu spät ist!«
Das Gesicht des Graveurs wurde dunkelrot. Er kaute an Worten, die er nicht sagte. Stahmers Zorn wich dem Mitleid! Der Mann hatte Holz vor dem Kopf.
»Hören Sie«, sagte der Agent beschwörend, »Sie müssen weg … auf der Stelle! … Ich bringe Sie 'raus … Sie müssen ins Ausland … Sie können sich auf mich verlassen …«
Puch stand auf. Langsam. Der kleine Mann wuchs nach oben. Es war so, als ob er auf den langen Stahmer herabsähe wie auf einen Maulwurf.
»Mir genügt die Unterhaltung«, sagte er mit erregt fistelnder Stimme. »Sie schämen sich wohl gar nicht?«
Iras Vater ballte die Fäuste.
»Und so was wie Sie gehört zur Partei … hat das Vertrauen des Führers …?« Die dünne Stimme überschlug sich. »Das muß … das ist ja … Sie hetzen gegen die Bewegung, jawohl …!«
Puch brach ab.
»Ich muß Meldung machen … ja … da bleibt gar nichts anderes übrig, Stahmer … ich muß Sie melden … das ist ungeheuerlich, was Sie da sagen … Wenn einer die Partei so verleumdet …«
Der Graveur schrie noch einmal alles heraus, woran er in den vergangenen fünfzehn Jahren geglaubt hatte. »So etwas tut der Führer nicht! … Niemals!«
Die Zentralheizung spülte Wärme in das Haus. Aber Werner Stahmer fror. Er sah auf die Uhr, zuckte vage die Schulter, ging nach unten. Was soll ich ihm noch sagen? überlegte er. Jedes Wort war sinnlos geworden wie ein Rettungsring, den der Ertrinkende nicht mehr fassen kann.
Eine Minute lang blieb Werner Stahmer stehen, ohne Gedanken, ohne Empfinden, gefroren, gleichgültig. Dann arbeitete sein Verstand wieder. Wie geht es weiter? dachte er. Kommt Puch noch zum Reden? Kaum! Wenn er begreift, daß es ernst ist, wird er wahllos und ängstlich alles herausschreien. Und seine Mörder hören kaum zu, ziehen gleichgültig an ihren Zigaretten oder grinsen sich an oder treten ihn noch einmal in den Unterleib, weil ihnen das Gezeter auf die Nerven geht. Ihr Gott ist der Führer.
Dreiundzwanzig Uhr.
Werner Stahmer zog einen Rolladen hoch und starrte hinaus auf die nachtdunkle Straße. Er war allein, entsetzlich allein und hatte auch noch das Reichssicherheitshauptamt anzurufen und zu melden, daß Puch fertig war …
Zeit gewinnen, dachte er. Er mußte diesen Narren, diesen Tölpel überzeugen. Natürlich, Ira mußte es tun!
Stahmer blätterte hastig im Telephonbuch, wählte; das Freizeichen quäkte stumpfsinnig.
Er rief Margot an.
»Sie?«
»Ja«, erwiderte der Agent. »Ich muß Sie sehen …«
»Jetzt?«
»Gerade jetzt«, antwortete er. Seine Stimme klang verzerrt.
»Ist etwas los?« fragte Margot betroffen.
»Haben Sie eine Ahnung, wo Ihre Freundin Ira ist?«
»Ira war den ganzen Tag hier«, erklärte Margot verwundert, »und ist dann am Abend mit ihrer Gymnastikgruppe nach Leipzig weggefahren …«
»Weggefahren?« stöhnte Stahmer.
»Holen Sie mich ab!« rief Margot
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