Prinz Charming
Taylor wartete keine Antwort ab. »Ganz sicher hätte er das Gefühl, er wäre in eine Falle getappt.« Bedrückt starrte sie Lucas an und fragte sich, warum er so schwierig sein mußte.
»Beweise ihm doch das Gegenteil!« Nun gähnte Victoria alle paar Minuten, und ihre Freundin erhob sich, um ihr auf die Beine zu helfen. »Weißt du, warum dein teurer Gatte wie der Teufel hierhergeritten ist, Taylor? Nach Hunters Meinung muß Lucas einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt haben. Für einen Mann, der nicht verheiratet sein will, hatte er’s jedenfalls sehr eilig ...«
Als sie davonging, schaute sie kein einziges Mal in Hunters Richtung. Sie brachte es nicht über sich, ihm Lebewohl zu sagen. Dazu tat ihr das Herz viel zu weh. Seufzend schob sie die Klappe der Segeltuchplane beiseite und kletterte in den Wägen. Noch ehe sie den obersten Knopf ihres Kleides geöffnet hatte, begann sie zu weinen.
Taylor war zu rastlos, um Schlaf zu finden. Aber sie wollte auch nicht mehr am Feuer sitzen, unbeachtet von ihrem Mann. Allmählich hatte sie genug von seiner Unhöflichkeit. Und so entschloß sie sich zu einem Spaziergang. Sie mußte ein paar Minuten allein sein, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Die Aussicht auf die unvermeidliche Konfrontation zerrte an ihren Nerven. Lucas verdiente es, die ganze Wahrheit zu erfahren, und das bedeutete, daß sie ihm von Malcolm erzählen mußte. Würde sie genug Kraft und Mut dafür aufbieten können?
Gedankenverloren wanderte sie zum Bach, und die beiden
Männer beobachteten sie. »Brennt dein Gesicht noch nicht?« fragte Hunter. »Der Blick deiner Frau hätte es anzünden müssen.«
»Victoria hat dich genauso angestarrt. Willst du ihr einfach davonlaufen?«
»Ich sehe keine andere Möglichkeit. Was ist in Chicago passiert?«
Lucas verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Offenbar wollte Hunter nicht über Victoria reden. »Caulder versteckte sich bei seinem Bruder.«
»Und du warst dort?«
»Ja, aber ich kam nicht an ihn heran. Ein paar Kopfgeldjäger standen mir im Weg, und Caulder verschwand in Windeseile. Er nahm sich nicht einmal Zeit, seine Sachen zu packen.«
»Also ließ er das Gold zurück?«
Lucas nickte. »Ich teilte Travis telegrafisch mit, wo es ist, und nun glaubt Caulder, ich hätte mir seinen Schatz angeeignet.«
»Wirst du ihn wieder verfolgen?«
»Es ist nicht nötig. Bald wird er mich suchen. Sein Bruder wurde festgenommen und behauptete, Caulder würde mir vorwerfen, ich hätte sein Leben ruiniert, und mir alles heimzahlen. Ist das zu fassen, Hunter? Der Bastard will sich rächen, weil ich ihn um seine Karriere und das Gold gebracht habe. Daß er acht Männer töten ließ, vergißt er dabei.«
»Es waren neun Soldaten, die er in den Tod schicken wollte. Auch du solltest sterben. Erinnerst du dich nicht mehr?«
»Doch.«
»Und du überlegst immer noch, warum du am Leben bist, nicht wahr?«
Lucas stand auf. »Nun habe ich Taylor lange genug schmo-ren lassen. Ich bin neugierig, wie sie ihre Reise nach Redemption rechtfertigen wird.«
Inzwischen hatte sie den Bach erreicht. Reglos stand sie am Wasserrand und lauschte den nächtlichen Geräuschen. Zahlreiche Grillen zirpten, ihr Chor klang lebhaft und beruhigend zugleich. Hin und wieder mischte sich ein Eulenschrei ein. Wie friedlich es hier ist, dachte Taylor. Silbrig schimmerten die Bäume im Mondlicht.
Als die Blätter am anderen Ufer raschelten, dachte sie sofort an den Berglöwen, der Victoria beinahe angesprungen hätte, und erschauerte. Dann hörte sie einen einsamen Wolf heulen. Rasch wandte sie sich vom Bach ab, um den Rückweg anzutreten.
Lucas versperrte ihr den Weg, einen Arm um einen tiefhängenden Ast geschlungen. Wie lange er sie schon beobachtete, wußte sie nicht. Jetzt fürchtete sie sich nicht mehr vor den nächtlichen Lauten. Sie fühlte sich sicher und faßte neuen Mut. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, betrachtete sie ihren Mann. Er hatte sich noch immer nicht rasiert. Der Bart verlieh ihm ein verwegenes Aussehen, und plötzlich sehnte sie sich nach einem Kuß, wollte spüren, wie die rauhen Stoppeln über ihre Haut kratzten.
»Auf dem Weg hierher habe ich gründlich nachgedacht«, erklärte er in sanftem, fast freundlichem Ton. »Und ich bin zu einem interessanten Ergebnis gelangt. Willst du’s hören?«
»Wenn du mir davon erzählen willst...«
Er winkte sie zu sich, und sie trat einen Schritt näher. »Du und deine Großmutter - ihr habt alles ganz
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