Prinz Charming
versicherte, du seist ein ehrenwerter, tapferer Mann, glaubte ich ihr.« Aufatmend lehnte er sich an den Baumstamm, und sie fügte hinzu: »Schon am ersten Abend hast du mir von Redemption erzählt. Erinnerst du dich?«
»Ja. Ich fand deine neugierigen Fragen erstaunlich. Aber ich hätte nie gedacht, du würdest hierherkommen.«
»Nun, ich glaubte, hier wären die Zwillinge sicher. Und ich habe schon immer von einem Leben in der Wildnis geträumt. Natürlich hatte ich nicht erwartet, daß ich so überstürzt hierherfahren würde. Zunächst wollte ich eine Weile in Boston bleiben. Aber dann kam alles ganz anders.«
»Ich mußte dir helfen, die Kinder zu finden.«
»Ja. Und meine Großmutter war gestorben. Sie hatte die
Zwillinge in ihrem Testament bedacht, und das rief Malcolm auf den Plan.«
»Die Zwillinge erben beträchtliche Summen. Und das veranlaßte Malcolm, sie aufzuspüren, nicht wahr?«
»Jetzt ist er ihr gesetzlicher Vormund. In Cincinnati erhielt ich zwei Telegramme. Du warst bereits nach Chicago gereist.«
»Und was stand in diesen Telegrammen?«
»Das eine stammte von Sherman, dem Bostoner Banker. Er teilte mir mit, Malcolm würde das Testament anfechten. Bevor die Sache geklärt sei, könne ich das Geld nicht anrühren. Malcolm schickte mir das andere Telegramm. Er weiß, daß der Vater der Zwillinge tot ist, und er informierte mich über die gesetzliche Vormundschaft, die das Gericht ihm zugesprochen hatte. Außerdem kündigte er an, er würde die Kinder von einer bewaffneten Eskorte nach England bringen lassen.«
Taylors angstvolle Stimme weckte erneut den Wunsch, sie tröstend in die Arme zu nehmen. Aber zuvor mußte er die ganze Wahrheit erfahren. »Sprich weiter, ich höre dir zu.«
Unglücklich wich sie seinem Blick aus. Es fiel ihr unendlich schwer, das schandbare Familiengeheimnis zu enthüllen. Zitternd preßte sie die Hände zusammen, schickte ein Stoßgebet zum Himmel und flehte den Allmächtigen an, er möge ihr Kraft geben. »Schon als kleines Mädchen war ich ständig auf der Flucht vor meinem Onkel. Meine Schwester Marian hatte mich vor ihm gewarnt. Sie erzählte mir, was er mir antun würde, und so beschützte sie mich vor dem Dämon.« Zaghaft hob sie den Kopf, suchte in Lucas’ Miene nach Anzeichen eines Abscheus und fand keine. Offenbar ahnte er noch immer nicht, was sie ihm erzählen wollte. »Nachts schob ich eine Kommode vor meine Schlafzimmertür. Und unter meinem Kissen verwahrte ich ein Messer.«
Gequält schloß Lucas die Augen und stellte sich das kleine Mädchen vor, daß sich gegen die perversen Gelüste eines gewissenlosen Onkels verteidigt hatte. »Versuchte er jemals ...«
Taylor ließ ihn nicht ausreden. Jetzt überstürzten sich ihre Worte, denn sie wollte die Geschichte zu Ende bringen, ehe sie zu weinen begann. »Natürlich war die kleine Kommode für Malcolm kein Hindernis. Eines Nachts kam er in mein Zimmer. Ich erwachte erst, als er sich auf mein Bett setzte. O Gott, ich hatte solche Angst. Ich tastete nach dem Messer unter meinem Kissen, und als er mir den Mund zuhalten wollte, griff ich ihn blitzschnell an. Beinahe hätte er sein Augenlicht verloren. Er schrie wie am Spieß, und überall war Blut.«
»Und was hast du dann getan?« fragte Lucas leise und verbarg den Zorn, der sein Herz zu zerreißen drohte.
»Ich rannte davon und versteckte mich unter dem Bett meiner Großmutter. An jenem Abend war sie ausgegangen, und ich schlich erst wieder in mein Zimmer zurück, als ich sie die Treppe heraufsteigen hörte. Welche Lüge ihr Malcolm über seine Verletzung auftischte, weiß ich immer noch nicht.«
»Warum hast du ihr nicht erzählt, was geschehen war?«
»Wie konnte ich?« stieß Taylor hervor. »Ich fühlte mich beschmutzt und schämte mich ganz schrecklich. Über solche Dinge wurde in unserem Haus nicht gesprochen. Einmal schürfte ich mir ein Knie auf und wollte es meiner Großmutter zeigen. Sie war entsetzt, weil ich in ihrer Gegenwart meinen Rock hob. Es galt ja schon als schändlich, einen Fußknöchel zu entblößen. Schließlich war es die Köchin, die mein wundes Knie säuberte.«
Verständnislos schüttelte Lucas den Kopf, was Taylor entging.
Gedankenverloren starrte sie auf ihre Hände hinab. »Ich wurde zu einer Lady erzogen. Und Ladys reden nicht über schlimme Dinge. Die Wahrheit hätte meine Großmutter umgebracht.«
Da war er anderer Meinung. »Du tust ihr unrecht, Taylor. Natürlich wäre ihr die Wahrheit in tiefster Seele
Weitere Kostenlose Bücher