Prinz der Nacht
gewagt hatte, einen anderen Mann anzulächeln.«
Erschüttert hörte Astrid zu.
»Magnus benutzte seine Sklaven, um seine Söhne zur Brutalität zu erziehen. Bedauerlicherweise erkoren sie Zarek zu einem ihrer Prügelknaben. Im Gegensatz zu den anderen wurde ihm ein barmherziger Tod verwehrt.«
Was der Oneroi erzählte, konnte sie kaum fassen. In all den Jahrhunderten hatte sie schon viele barbarische Taten mit angesehen, aber noch nie ein solches Grauen. »Wieso ist der Halbbruder dieser Jungen ein Sklave? Wegen seiner Verwandtschaft mit ihrer toten Mutter?«
»Nein, ihr Vater vergewaltigte eine griechische Sklavin ihres Onkels. Nach Zareks Geburt bestach seine Mutter eine Dienerin, die ihn irgendwo aussetzen und sterben lassen sollte. Doch die Frau hatte Mitleid mit dem Baby. Statt es zu töten, brachte sie es zu seinem Vater.«
»Und der wollte es auch nicht haben.« Astrids Blick kehrte zu dem zusammengekrümmten Jungen zurück.
Zweifellos gab es niemanden, der Wert auf ihn legte.
»Natürlich nicht. Nach Magnus' Ansicht war das Kind besudelt. Nicht nur sein Blut floss in Zareks Adern, sondern auch das Erbe einer nichtswürdigen Sklavin. Also übergab er den Jungen seinen Sklaven, die ihren Hass auf ihren Herrn an dessen illegitimem Sohn ausließen. Jedes Mal, wenn sie Zareks Vater oder seinen Halbbrüdern grollten, musste er es büßen. Er wuchs als gepeinigter Sündenbock auf.«
Astrid beobachtete Marius, der sein Opfer an den Haaren packte und hochzog. Als sie sah, wie übel Zareks schönes Gesicht zugerichtet war, blieb ihr der Atem in der Kehle stecken. Höchstens zehn Jahre alt, wiesen seine Züge so viele Narben auf, dass sie kaum noch menschlich wirkten.
»Was ist los mir dir, Sklave? Bist du nicht hungrig?«
Zarek antwortete nicht und versuchte sich von Marius ' Hand zu befreien. Warum protestierte er nicht? Weil er es nicht besser wusste? Oder hatte er sich an die Misshandlungen gewöhnt?
»Lass ihn los!« Ein anderer Junge, etwa in Zareks Alter, war hinzugekommen. Schwarzhaarig und blauäugig, ähnelte er seinen Brüdern. Er warf sich auf Marius, befreite den geschundenen Sklaven und drehte dem älteren Jungen den Arm auf den Rücken.
»Das ist Valerius«, erklärte M' Adoc, »ebenfalls ein Halbbruder Zareks.«
»Was stimmt denn nicht mit dir, Marius?«, fragte Valerius. »Warum marterst du jemanden, der viel schwächer ist als du? Schau ihn doch an, er kann kaum noch stehen !«
Erbost riss Marius sich los und schlug Valerius zu Boden. »Elender Schurke !«, schrie er und verzog angewidert die Lippen. »Unglaublich, dass du Großvaters Namen trägst, Valerius! Du machst ihm wahrlich keine Ehre! Was für ein erbärmlicher Feigling du bist! Die Welt gehört nur jenen, die stark genug sind, um sie zu beherrschen. Aber du bemitleidest die Schwächlinge, die nicht kämpfen können. Nicht zu fassen, dass wir aus demselben Mutterschoß stammen !«
Während die anderen Jungen über Valerius herfielen, wandte Marius sich wieder zu Zarek und zerrte ihn an den Haaren.
»0 ja, du hast recht, Sklave. Nicht einmal diesen fauligen Kohl bist du wert. Am besten füttern wir dich mit Dünger !« Dann versetzte er ihm einen kraftvollen Stoß.
Astrid tauchte aus ihrem Traum auf, sie konnte nicht mit ansehen, was als Nächstes geschehen wäre. An ihr mangelndes Mitgefühl gewöhnt, wurde sie nun von Emotionen überwältigt und bebte vor Zorn. Wie konnte man solche
Torturen zulassen? Und wie hatte Zarek dieses leidvolle Leben überstanden? In diesem Moment hasste sie ihre Schwestern für die Rollen, die sie in seiner Kindheit gespielt hatten. Aber nicht einmal die Schicksalsgöttinnen vermochten alles zu regeln. Das wusste sie. Trotzdem milderte die Erkenntnis nicht den Schmerz in ihrem Herzen.
Verzweifelt dachte sie an den unglücklichen Jungen, den niemand geliebt und umsorgt hatte und der zu einem verbitterten, wütenden Mann herangewachsen war.
Jetzt wunderte sie sich nicht mehr über sein schroffes, verhärtetes Wesen. Wie sollte er sich anders verhalten, wenn man ihn immer nur verachtete?
»Ich habe dich gewarnt«, sagte M' Adoc. »Sogar die Skoti weigern sich, Zareks Träume zu besuchen. Was du soeben gesehen hast, gehört noch zu seinen milderen Erinnerungen.«
»Wieso er das überleben konnte, verstehe ich nicht«, flüsterte sie. »Warum hat er sich nicht umgebracht?«
Prüfend schaute er sie an. »Nur Zarek kennt die Antwort auf diese Frage.« Dann gab er ihr ein Fläschchen, und sie
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