Prinz für die Köchin
abwechselnd sehr kalt und sehr heiß. Vor ihrem geistigen Auge konnte sie sich Berge von Kartoffeln schälen sehen, sah sich Monsieur Boudin Gänsefett auf die Schuhe kippen, mit roten Beeten kämpfen, letzte Hand an vollendet knusprige Zucchini-Blüten legen, ein Blech mit lecker aufgeblähten Lamm-Thymian- croustillants aus dem Ofen holen und als jüngste Erinnerung Bastien in Mitchs Küche die Seeigelsuppe vorsetzen, die sie nach ihrem Besuch im Le Petit Merlu kreiert hatte. Und sie sah, wie er sie mit vollem Mund anlächelte.
Sie blickte ihrer Mutter unverwandt in die Augen und antwortete entschlossen: »Ja! Ja – ich bin Köchin.«
52
Nach ein paar Regentagen hatte sich das Wetter wieder beruhigt, und der Himmel hinter den Orangenbäumen strahlte in sommerlichem Blau. Bald würde Imogens sechsmonatiges Abenteuer zu Ende gehen. Sie setzte sich in dem hauchdünnen smaragdgrünen Spitzen-Unterkleid auf, das sie kürzlich im Ultradonna erstanden hatte. Es galt, eine Entscheidung zu treffen: ob sie nach Hause zurückkehren oder die feste Stelle im Chez Michel annehmen sollte, die Monsieur Boudin ihr angeboten hatte.
Eine schwarze Pfote zerrte an ihrem Knie. Monty bedachte sie mit einem Blick, der das hündische Äquivalent eines zugleich respektvollen und bedeutsamen Räusperns darstellte. Sie lächelte und kraulte ihm den Kopf. »Ja, Monty – Gassi!« Nachdem sie sich angezogen hatte, schlich sie mit ihrem Hund auf dem Arm auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Mitch und Gene schliefen noch.
Sie waren schon fast an der Promenade, als sie am La Couronne d’Or vorbeikamen – der Bäckerei, die morgens als erste aufmachte und vor der stets vom nächtlichen Clubleben ausgehungerte Koud’Soleil-Stammgäste Schlange standen. Ein himmlischer Geruch drang aus dem Laden. Imogen blieb stehen und überlegte, wie schön es doch wäre, eine Freundin mit warmen Croissants fürs Frühstück zu überraschen. Für Faustina war es noch ein bisschen zu früh, also schickte sie stattdessen Bunny eine SMS und bekam eine typisch atemlose Antwort: »Ja, komm her, hab gerade was in Arbeit. Everett hier, isst mehr Croissants als jeder, den ich kenne, also reichlich mitbringen.«
Bunny war mit Schutzbrille und ellenbogenlangen Handschuhen in ihrem Studio zugange und schuf aus Hummern und Formaldehyd eine anspruchsvolle Komposition, die als Einweihungsgeschenk für das Chez Michel gedacht war. Nachdem Imogen ihre Freundin begrüßt hatte, folgte sie Everett ins Wohnzimmer. Dort lümmelten sie sich in trautem Einvernehmen mit Monty zwischen sich auf einem der Sofas.
»Die Dinger werden mir wirklich fehlen«, verkündete Bunnys Bruder, nachdem er sein drittes Croissant verdrückt hatte. »Du weißt ja, Buddy und ich fahren bald nach Hause. Unser Urlaub ist zu Ende.«
»Oh, das ist aber schade.«
»Stimmt«, meinte er und lächelte sie an. »Aber hör mal, komm uns doch nächsten Sommer besuchen. Wenn du möchtest, gehe ich mit dir angeln.«
»Vielleicht«, erwiderte Imogen, gerührt von seiner Freundlichkeit. »Und was ist mit Bunny, Everett? Denkt sie daran, irgendwann wieder nach Hause zurückzukehren?«
»Na ja, weißt du, das ist komisch.« Everett furchte die Stirn. »Eigentlich hatte sie das vor, aber anscheinend hat sie es sich ganz plötzlich anders überlegt.«
»Wirklich?«
»Das ist mal wieder typisch Bunny. Wie eine Wetterfahne.« Everett hielt kurz inne, dann fügte er hinzu: »Ich weiß nicht, Imogen. In letzter Zeit ist sie besonders zerstreut, sogar für ihre Verhältnisse. Verschwindet stundenlang, geht nicht ans Handy.« Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. »Du bist doch ihre Freundin. Weißt du, was da los ist?«
»Ich überlege gerade«, meinte Imogen mit verschmitztem Lächeln, »ob sie sich vielleicht verliebt hat – in jemanden von hier.«
»Oh.« Everett sah sie ernst an. »Möglich ist das schon. Und in wen?«
»Na ja, ich dachte da an euren französischen Cousin, an Amaury.«
Everett nickte nachdenklich. »Könnte sein. Obwohl es gar nicht zu ihr passt, nicht darüber zu reden. Normalerweise hängt sie so etwas an die große Glocke.« Er schüttelte den Kopf, dann grinste er sie an. »Na, jedenfalls – was ist mit dir? Du bleibst doch auch noch ein bisschen, oder?«
»Ich weiß nicht genau. Kommt auf die Arbeit an. Und dann noch auf … andere Sachen.«
»Ach ja, natürlich – deine geheimnisvolle Romanze.« Everett lächelte sie träge an und reckte die Arme über den Kopf. »Wie
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