Prinz für die Köchin
ein weicher, fester Mund über dem ihren schloss. Ein berauschender Gewürzgeschmack auf seiner Zunge und ein heftiger Blutschwall, der ihr ins Gesicht schoss, in Hals und Arme und jeden einzelnen Finger, in Beine und Bauch.
Um sie herum war entzücktes Johlen zu vernehmen gewesen, gefolgt von betroffenem Schweigen, als der Kuss andauerte. Nicht dass Imogen zugehört hätte.
Es war ein Schock, eine vollkommen neue Erfahrung. Vor ihrem geistigen Auge konnte sie ihren Körper ganz deutlich sehen. Er war wie eine von diesen altmodischen Telefonzentralen. Ein Heer unsichtbarer Hände stöpselte Dutzende von Steckern in die dazugehörigen Steckdosen, stellte Hunderte von Verbindungen auf einmal her. Irgendetwas in ihrem Innern verschob sich grundlegend – zum ersten Mal in ihrem Leben war sie ganz und gar eins mit ihrem Körper. Sie seufzte tief. Sie atmete ihn ein. Sie öffnete sich dem Kuss – und er fuhr durch sie hindurch wie ein wollüstiger Donnerschlag.
Irgendwo setzte die Musik wieder ein. Vage wurde Imogen bewusst, dass sich der Kreis auflöste, dass die Leute sich plaudernd zur Tanzfläche aufmachten. Ihre Hände wurden losgelassen, und sein Mund löste sich von ihrem. Langsam öffnete sie die Lider unter der Augenbinde und streckte die Hände nach ihm aus, doch sie trafen nur auf leere Luft. Als sie sich die Binde von den Augen gerissen hatte, stand sie allein auf dem zertrampelten Gras. Er war verschwunden.
»Ich fasse es nicht, dass keiner von euch gesehen hat, wer es war!«, rief Imogen entrüstet. »Wo zum Teufel wart ihr denn?«
Zunächst hatte sie sich mit einem Chor wirrer und widersprüchlicher Antworten von den wenigen beschwipsten Gästen zufriedengeben müssen, die noch da gewesen waren, als sie die Augenbinde abgenommen hatte. Dazu gehörten Monsieur Morello aus dem Käsegeschäft nebst Gemahlin, die Friseurin Madame Pignon und ihr Mann, Monsieur und Madame Ponceau aus der Metzgerei, Bernard, der Besitzer des La Sirène, und Mylène vom Ultradonna, die von ihrem Bikerfreund begleitet wurde.
Alle waren sehr bemüht, ihr zu helfen. Einer schwor, dass der Mann, der sie geküsst hatte, groß und dunkel gewesen sei. Ein anderer behauptete, nein, klein und blond sei er gewesen. Auf jeden Fall im mittleren Alter, warf jemand anderes ein. Nein, nein, ganz jung, eigentlich noch ein Junge. Und sein Haar hätte man sowieso nicht sehen können, weil er einen Hut aufgehabt hätte. Er war weiß gekleidet gewesen. Augenblick mal, nein, er hätte definitiv Blau getragen. Nein, nein, Rot. Ganz in Schwarz ist er gewesen – das weiß ich noch ganz genau. Ja, er schien jeden auf der Party zu kennen. Nein, er sei allein gekommen und hätte einsam am Rand des Geschehens gestanden und sich mit niemandem unterhalten. Danach sei er ins Haus gegangen. Nein, er war in Richtung der Musik davongeschlendert. Nein, nein, Augenblick, er hatte die Party verlassen.
In einem jedoch waren sich alle einig: Der Mysteriöse hatte eine Maske getragen, passend zu seinem Kostüm. Sogar Imogen konnte das bestätigen, denn im Laufe des Kusses hatte sie ganz flüchtig Samt gespürt. Doch es lief trotzdem auf dasselbe hinaus: Niemand hatte das Gesicht des Mannes gesehen.
Nichts aus diesem Wirrwarr hinterließ einen bleibenden Eindruck bei Imogen, außer die Erwähnung von Rot und Schwarz – die Farben, die Bastien und Dimitri getragen hatten. Natürlich. Das Blindekuhspiel hätte ihnen die Gelegenheit geboten, auf die sie den ganzen Abend gewartet hatten. Doch welcher von beiden hatte sie genutzt, um diesen umwerfend köstlichen Kuss abzuliefern? War das Bastiens Mund auf ihrem gewesen? Wenn ja, dann musste ihre Reaktion bedeuten, dass sie mehr für ihn empfand, als ihr klar war. War es andererseits jedoch Dimitri gewesen, dann musste mehr an ihm dran sein, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Beides waren interessante, verheißungsvolle Vorstellungen. Ganz kurz dachte Imogen an Georgette Heyers Romanheldin Venetia, deren Suche nach der Liebe ebenfalls mit einem unverhofften Kuss begonnen hatte, obwohl ihr zumindest Damerels Identität von Anfang an bekannt war. Imogen errötete. Das war ja alles ziemlich aufregend.
Sie hatte auf detaillierte Augenzeugenberichte seitens ihrer Freunde gehofft. Doch wie sich herausstellte, war Mitch in der Küche geblieben, um seinen Whiskey auszutrinken (und, wie Imogen argwöhnte, um den Verlust von Gene zu betrauern). Er jedenfalls hatte die Episode komplett verpasst. Faustina hatte jenen
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