Prinz Rajin - Der Verdammte
Leuchtenden Steine bei Ktabor.
Und letztlich war er auch immer einer Erklärung dafür ausgewichen, welcher Macht er eigentlich sein langes Leben zu verdanken hatte. Denn die Natur allein – dessen war Rajin sich inzwischen gewiss – konnte dafür nicht verantwortlich sein. Doch wenn Rajin seinen Mentor auf diese Dinge ansprach, dann redete er zu einer steinernen Wand, hinter die kein Blick möglich war und von der er auch keine Antwort erwarten durfte. Es schien sinnlos zu sein, tiefer in Liisho dringen und mehr erfahren zu wollen. Und vielleicht war es auch gar nicht nötig, dachte der Prinz. Zumindest einstweilen nicht. Er war und blieb Rajins Mentor – ein weiser Ratgeber, auf dessen Ratschlag er bei seinem Kampf gegen Katagi so sehr angewiesen war wie auf sonst nichts. Der Gedanke daran, dass er diesen Kampf noch vor kurzem um ein Haar allein hätte weiterführen müssen, ließ ihn noch immer schaudern.
Sie schwiegen eine Weile und hörten dem Prasseln des Feuers zu. Sekinji hatte ein warmes, belebendes Getränk aufgebrüht, einen Tee aus dem Oberen Südflussland, wie man das Gebiet nannte, wo der Fluss die Grenze nach Tajima überschritt. Das Gebiet war sehr unwegsam, und das schon auf der drachenischen Seite der Grenze. Darum waren die Teesorten, die dort an den Hängen des Flusstals wuchsen, auch besonders teuer, zumal ihre Blätter im unbehandelten Zustand nicht mit Hilfe von Drachen transportiert werden durften, weil die Ausdünstungen jedweden Drachenatems das Aroma ruinierten. Erst später, im behandelten Zustand, war das verhältnismäßig gleichgültig, denn dann war der Geruch des Tees manchmal so durchdringend, dass so mancher Lastdrache, der behandelten Tee transportierte, später noch danach roch und von seinen Artgenossen eine Weile lang nicht im Pferch geduldet wurde.
Liisho erhob sich, nahm einen brennenden Scheit aus dem Feuer und ging damit zu den Drachen, um noch einmal nach ihren Verletzungen zu sehen, und dazu reichte ihm das Licht der fünf Monde offenbar nicht aus. Normalerweise hätte Rajin ihn dabei begleitet, aber er hatte das Gefühl, dass der Weise dies allein tun wollte.
Eine ganze Weile hielt Liisho innere Zwiesprache mit Ayyaam. Der zeitweilige Ungehorsam seines sonst so treu ergebenen Drachen schien ihn tief betroffen zu haben. Rajin war sich allerdings nicht sicher, ob Liishos Sorge mehr der Illoyalität seines Drachengefährten galt oder ob er an seinen eigenen Fähigkeiten als Drachenreiter zu zweifeln begonnen hatte.
Schließlich kehrte er zurück und setzte sich wieder. „Der Einfluss Yyuums ist bereits deutlich zu spüren“, sagte er. „Überall, in jedem Drachen spürt man die Wirkung der inneren Kraft des Urdrachen – nicht nur dort, wo die Erde erbebt und aufreißt.“ Er sagte das so, als müsste er irgendetwas erklären.
„Was ist mit den anderen Drachen, die am Ende des Ersten Äons verschüttet wurden?“, fragte Rajin. „Zum Beispiel jenem, von dessen Geist ein paar Fetzen in den Block aus Drachenbasalt hineingeschmolzen wurde, den ich zu zerschlagen versuchte. Wann werden auch sie erwachen?“
Liisho zuckte mit den Schultern. „Niemand kann das vorhersagen. Auch ich nicht. Ich hatte gehofft, dass wir noch länger Zeit haben, um Yyuum den Ring wegzunehmen, was sich jetzt aber wohl als Irrtum erweist. Es ist durchaus möglich, dass sich die anderen rühren, sobald Yyuum wach ist. So mancher, der noch seinen friedlichen Jahrhunderttausendschlaf unter irgendeinem inzwischen von Wind und Wetter abgetragenen Hügel fristet, wird allein deshalb schon erwachen, weil er Yyuums Präsenz spürt. Der Tag, an dem sie sich alle erheben, wäre der Letzte, den irgendein Mensch erlebt, Rajin.“
„Ich habe meinen zehnjährigen Sohn auf dem magischen Pergament gesehen“, kam Rajin auf eine andere Sache zurück. „Kann es sein, dass dies ein Blick auf eine Zukunft war, die möglich wäre? Es würde bedeuten, dass weder der Tag der Drachenerhebung noch jener, an der der Schneemond herabfällt, bereits eingetreten wären …“
„Vielleicht existierte Kojan II. auch in einer verlorenen Variante der Zukunft“, sagte Liisho weit weniger optimistisch. „In einer Linie der Zeit, die zu einem bestimmten Moment nicht mehr Wirklichkeit werden konnte, die aber noch durch ein paar magische Trugbilder spukt, die im Wesentlichen in deinem Kopf existieren, Rajin, und nirgendwo sonst mehr.“
Die Kundschafter hatten sich in mehrere Gruppen aufgeteilt. Die erste
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