Prinzentod
»Hey, da bist du ja wieder. Ich suche nach einem Geodreieck. Meins muss ich verloren haben . Ich kann es jedenfalls nicht finden. « »Ist in meinem Rucksack.« Ich nehme den schwarzen Rucksack von meinem kleinen roten Klappsofa und hole ein ramponiertes Geodreieck heraus. »Bio?«, frage ich . Bernadette nickt. »Geht’s dir wieder besser?«, fragt sie etwa s schnippisch zurück. Und jetzt verstehe ich plötzlich, waru m sie nicht vor der Klotür gelauert hat, in Erwartung alle r schmutzigen Einzelheiten. Bernadette ist gekränkt, dass ic h mich ihr nicht anvertraut habe. Oh Mann, ich habe mic h wirklich zwischen alle Stühle gesetzt .
Spontan laufe ich zu ihr und nehme sie in den Arm. »Hey, ich hätte es dir bestimmt gebeichtet, echt!« Sie zuckt mit ihren molligen Schultern. »Ist schon okay. Lernen wir zusammen?« Ich will gerade nicken, einfach um sie nicht schon wieder zu enttäuschen, doch dann fällt mir ein, was ich mir vorgenommen habe. Ich muss zuerst mit Kai reden. Solange ich sicher bin, dass es das Richtige ist. Solange die alte Lissie noch die Oberhand hat. »Ich muss dringend etwas erledigen. Vielleicht später, ja?«, sage ich entschuldigend. Bernadette ringt sich ein Lächeln ab. »Klar, wir sehen uns.« Sie verlässt mein Zimmer über die Terrasse und schließt demonstrativ die Balkontür hinter sich. Ich greife nach meinem Handy, doch statt seine Nummer einzutippen, lasse ich es zögernd sinken. Will ich das wirklich? Um mir Mut zu machen, rufe ich mir noch einmal Brigittes Worte ins Gedächtnis. »Das Mädchen bezahlt einen hohen Preis. Du willst doch nicht in der zweiten Reihe stehen, oder?« Sind das nicht bloß Plattitüden?, frage ich mich plötzlich. Was weiß Brigitte von der wirklichen, der wahren Liebe, die sich weder um Konventionen noch um Alter schert? Ist nicht das, was Kai und ich miteinander erleben, etwas ganz und gar Besonderes? Etwas, das Brigitte mit ihren etwas spießigen Moralvorstellungen gar nicht verstehen kann? Aber wenn er genauso fühlt wie ich, wenn unsere Liebe etwas Besonderes ist, warum hat er mir dann noch vor zwei Tagen ganz sachlich erklärt, dass er Brigitte niemals verlassen würde? Vorgestern hat mich das nicht verletzt, ganz im Gegenteil, er hätte mich enttäuscht, wenn er etwas anderes gesagt hätte.
Aber jetzt?
Willst du immer in der zweiten Reihe stehen?
Ich hole tief Luft und drücke die grüne Taste. Kai meldet sich fast nach dem ersten Klingelzeichen. Bevor er mich richtig begrüßen kann, verlange ich, dass wir uns sofort sehen. »Was ist denn los?«, fragt er und seine Stimme klingt liebevoll und samtig. Und wie immer möchte ich mich in diese Stimme einfach fallen lassen, mein Körper reagiert unaufgefordert, würde am liebsten zu ihm rennen. Mit allergrößter Anstrengung gelingt es mir weiterzusprechen. »Wir müssen reden, und zwar jetzt gleich!« »Ich muss erst noch zu einer Baustelle, aber in einer Stunde in der Wohnung, okay?« Es klickt und die Verbindung ist tot. Tot. Ohne Kai leben, was ist das anderes als Selbstmord auf Raten? Sei nicht so dramatisch, rufe ich mich zur Ordnung. Du hast ja auch schon ohne ihn gelebt. Aber das überzeugt mich nicht, der Vergleich hinkt! Ein Blinder, der plötzlich sehen kann, wird auch nie wieder blind sein wollen, weil er endlich weiß, was Farbe bedeutet. Und ich war definitiv blind, gefühlsblind, bis Kai kam. Hör auf, Lissie! Schluss damit. Es muss einfach sein. Endlich mal das Richtige tun!
5. Blog
Heute möchte ich über das Wort Liebesnest reden. Wenn ma n an Nest denkt, dann stellt man sich winzige Vogelküken vor , die ihren Schnabel aufsperren. Man denkt an Nester au s Stroh oder vielleicht aus Bast, gefüllt mit leckeren Ostereiern . Allerdings habe ich auch schon an Schwanennestern gerochen und muss sagen, sie stinken . Sie stinken genauso wie diese schmuddelige Absteige un d dieses rührend heimliche Liebespaar . Sie stinken nach Verrat und deswegen ist das, was ich vorhabe, auch richtig . Oder ist es einfach nur feige ? Fragt Z
6. Kapitel
A uf dem Weg zu unserer Verabredung habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden, aber wahrscheinlich habe ich zu viele schlechte Krimis im Fernsehen gesehen, in denen heruntergekommene Detektive treulose Ehemänner beschatten. Quatsch, dieser Gedanke ist total falsch, denn ich bin kein Ehemann. Jedenfalls drehe ich mich ständig um, weil es so komisch im Nacken kribbelt, als würde jemand mich anstarren. Doch obwohl jede Menge Leute auf der
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