Prinzentod
weil mich seine Worte tief im Bauch treffen. Liebe. Ja, ich dachte, wir würden uns lieben. Aber kann das Liebe sein? Schau dich doch um, Lissie, schreit es in mir. Schau dich in dieser elenden Drecksbude mal um. Was ist das? Wirklich Liebe? Mir schnürt es die Kehle zu vor lauter Zorn und ich bringe kaum meine Worte raus. »Das nennst du Liebe? Das Einzige, was wir hier haben, ist Sex.« Ich merke, wie ich rot werde, knallrot, weil mir plötzlich glasklar geworden ist, was ich da eben gesagt habe. Denn das hier hat tatsächlich nicht viel mit Liebe zu tun. Es ist wirklich nur Sex. Und damit stehe ich nicht nur in der zweiten Reihe, sondern versinke dort auch noch kniehoch im Morast. »Lissie, mein Schatz, ja, wir hatten natürlich auch Sex, aber ich verstehe gar nicht, was dich mit einem Mal so wütend macht. Schau, wir waren doch so glücklich...«Kai hebt beide Handflächen nach oben wie ein Priester und kommt näher. »Lissie, Lissie, sprich dich ruhig aus, das wird dir helfen. Wir werden damit fertig. Wir schaffen das, gemeinsam!« »Will ich aber nicht!« Meine Stimme klettert weiter in die Höhe. »Ich habe einen Fehler gemacht und viel zu wenig nachgedacht. Eigentlich habe ich überhaupt nicht gedacht. Zumindest nicht an all die Menschen, die ich verletze: Brigitte, Bernadette und Nico.« Kai schaut mich verdutzt an. »Was hat denn Nico plötzlich damit zu tun?« Mir fällt ein, dass ich Kai nie davon erzählt habe, dass ich mal mit seinem Stiefsohn zusammen war, aber jetzt ist es eh egal. »Nico und ich...« »Wie? Nico und du?« Kai starrt mich verständnislos an. Ich schlucke zweimal, weiß nicht, welche Formulierung ich wählen soll. »Na ja, wir waren mal zusammen, zumindest kurz.« »Was?« Kai tritt einen Schritt auf mich zu, wütend zerrt er am Knoten seines Kimonos. »Das ist ja, ja . . .!« Er ist rot im Gesicht geworden. »Du meinst, du hattest wirklich etwas mit Nikolaus, diesem, diesem...?« »Ja«, flüstere ich und fühle mich widerwärtig mies. Er greift sich an die Stirn. »Darauf wäre ich nie gekommen. Ausgerechnet! Was für eine Ironie!« Ich komme mir erbärmlich vor, wie eine, die von niemandem die Finger lassen kann, eine, für die Papa ein ganz anderes Wort verwenden würde. »Bitte Kai. Versuch doch zu verstehen«, probiere ich es noch einmal. Er sieht mich kopfschüttelnd und überrascht an, beinahe so, als hätte er gerade in seinem leckeren Tiramisu eine Made entdeckt. Dann greift er mich am Arm und zerrt mich zur Tür. »Geh! Geh bitte! Ich muss nachdenken, ja?« Ich spüre, wie mir die Tränen übers Gesicht laufen. Doch nicht so! So sollte unser Ende nicht sein! Warum ist er so wütend auf mich? Warum wegen Nico? Das war doch etwas ganz anderes und ist lange vorbei! Bevor er die Tür hinter mir schließt, ruft er mir noch hinterher: »Deine Entscheidung kam jetzt wirklich ein bisschen sehr plötzlich. Ich ruf dich an!« Ich renne die Treppen hinunter, kann kaum mein Fahrradschloss aufschließen, weil ich alles nur noch verschwommen sehe, schwinge mich auf den Sattel und fahre weg, weg von ihm, würde gern aus meinem Leben wegfahren, irgendwohin, wo ich ganz neu anfangen kann.
Doch wenig später bekomme ich vor lauter Schluchzen keine Luft mehr und bin gezwungen, mein Rad abzustellen. Ich setze mich auf eine Parkbank am Gollierplatz unter einen Kastanienbaum und versuche, zur Ruhe zu kommen. Es ist vorbei, Lissie. Das ist es doch, was du wolltest, oder? Aber wenn ich es wollte, warum fühlt es sich so verdammt falsch an? Ich sehe zum Spielplatz hinüber, wo ein paar kleine Kinder mit ihren bunten Plastikschippchen Sand in Eimer schaufeln, den Eimer umdrehen und Kuchen backen und kein anderes Problem haben, als dass ihre Kuchen sofort zerfallen. Ein kleines Mädchen kommt zu mir herüber und starrt mich aus großen braunen Augen an. Ihre Hand umklammert einen gelben Plastikbagger. »Warum weinst du?«, fragt es. Ich betrachte das Mädchen, dessen Haare unordentlich unter einen kleinen rosa geblümten Sonnenhut gestopft sind. Was kann ich ihr antworten, was kann sie schon verstehen? »Weil ich einen Fehler gemacht habe.« Unwillkürlich wische ich die Tränen ab und versuche zu lächeln, aber es muss ziemlich schief geraten sein, denn das Mädchen lächelt nicht zurück, sondern bleibt sehr ernst. Die braunen Augen scheinen nach etwas zu suchen. »Und wo tut’s dir denn weh«, fragt es schließlich, »blutest du?« Oh Gott, am liebsten würde ich die Kleine wie einen Teddybären
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