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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Theresienwiese unterwegs sind, Spaziergänger mit kalbgroßen Hunden, Skater und Blader, Jogger und Radfahrer, fährt niemand hinter mir. Alles Einbildung. Ich trete mit aller Kraft in die Pedale, mir gefällt es, dass ich völlig außer Atem gerate, und der Weg vom Goetheplatz über die Theresienwiese hoch zur Schwanthalerhöhe kommt mir da gerade recht. Als ich am Lidlparkplatz vorbeifahre, sehe ich, dass Kais Firmenwagen schon dort steht, und mein Herz klopft gleich etwas schneller. Ich schließe mein Rad doppelt ab, denn hier wimmelt es nur so von Methadonjunkies, die alles zu Geld machen, was nicht niet-und nagelfest ist, und gehe durch die Haustür, die nie abgeschlossen wird, weil im Hinterhof eine Glaserei ihre Werkstatt hat. Im Laufschritt nehme ich die Treppe in Angriff, aber mit jedem Stockwerk fällt es mir schwerer, die eingeübten Sätze mit fester Stimme zu sagen: »Kai, es muss vorbei sein. Kai, so kann das nicht weitergehen. Ich möchte, dass wir uns trennen.« Bevor ich nach dem Schlüssel in dem verstaubten Kranz aus grau-rosa Plastikblüten greifen kann, öffnet sich die Wohnungstür von innen.
    »Hallo! Wie schön, dass du endlich da bist!« Mein Prinz trägt seinen schwarzen Kimono. »Bist du nicht völlig verschwitzt vom Radfahren?«, fragt er und zieht mich lächelnd an sich. Mir bleiben alle Worte im Hals stecken und ich genieße ein paar Sekunden lang diesen herben Duft, der von den Grübchen seiner Schlüsselbeine aufsteigt. Dann reiße ich mich zusammen und trete mit einem Fuß die Tür hinter mir zu. »Wir müssen reden!« »Sicher!« Er zieht mich wieder an sich, aber ich fühle mich plötzlich komisch, als ob wir nicht allein wären. Eine Sekunde lang schießt mir der völlig irreale Gedanke durch den Kopf, ob ich mir so beobachtet vorkomme, weil vielleicht meine Mutter in der Nähe umherschwebt und hofft, dass ich endlich das Richtige tue? So blöd dieser Gedanke ist, macht er mir doch klar, dass es höchste Zeit ist, das zu sagen, weswegen ich hergekommen bin. Ich rücke von ihm ab. »Kai, ich meine es ernst.« Er mustert mich aufmerksam. »Was ist los?«, fragt er und lässt sich quietschend in einen der monströsen dunkelblauen Kunstledersessel fallen. Er winkt mich zu sich, aber ich rühre mich nicht vom Fleck, denn in dem Augenblick, in dem er mich anfasst, werde ich weich. Ich zwinge mich, durch die schlierigen Fenster nach draußen zu schauen, bloß nicht in diese meergrünen Augen sehen, die mein Gehirn schmelzen lassen und nichts übrig lassen als meinen zitternden Körper. Ich atme tief durch. »Kai, wir müssen uns trennen. Was wir tun, ist falsch.« Er macht Anstalten, aus seinem Sessel aufzustehen, dabei verzieht er seine Lippen zu einem schiefen Grinsen, bei dem man die kleine Zahnlücke sieht, und die macht mich fast schon wieder schwach.
    »Bleib, wo du bist«, fauche ich plötzlich. »Bitte, Kai, wir müssen aufhören damit.« Er verharrt in der Bewegung. »Lissie, ich verstehe dich ja...«, fängt er an. »Nein, du verstehst gar nichts«, brülle ich, »du hast überhaupt keine Ahnung, wie beschissen ich mich fühle!« »Lissie, Lissie, glaub mir...« Jetzt springt er tatsächlich auf und kommt näher, lässt sich von mir nicht abhalten, hebt mein Kinn zu sich hin und küsst mich auf den Mund. Als ich seine Lippen auf meinen spüre, vergesse ich trotz meiner Wut alles, was ich sagen wollte. Doch dann höre ich aus dem Bad ein Rumpeln, das mich erschreckt zusammenfahren lässt. »Da ist jemand«, stottere ich. Kai lacht und lässt mich los. »Du siehst Gespenster! Das ist doch nur der alte Wasserboiler.« Gespenster. Ich denke wieder an Mama und bin plötzlich dem Wasserboiler unendlich dankbar. Denn er hat mir gerade noch rechtzeitig klargemacht, dass ich stark bleiben muss. »Kai, ich kann das nicht mehr«, sage ich bestimmt. »Wenn ich Brigitte sehe und Bernadette, fühle ich mich grauenhaft. Ich möchte sie nicht verletzen.« »Dazu ist es jetzt zu spät.« Er zieht seine Augenbrauen zusammen und verschränkt seine Arme vor der Brust. »Wir haben es doch längst getan. Das kannst du nicht mehr rückgängig machen. Auch nicht, wenn wir aufhören.« »Kapierst du’s denn nicht?« Es macht mich rasend, wenn er so ruhig dasteht und so tut, als verstehe er nicht, was ich meine. »Es ist scheiße! Mir geht’s scheiße. Ich kann das nicht mehr. Ich will es nicht mehr.« »Und was ist mit unserer Liebe? Zählt das gar nichts?«
    Einen Moment lang fällt mir nichts ein,

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