Prinzentod
aufrege.« Brigitte lehnt sich jetzt im Stuhl zurück. Offenbar hat sie selbst gemerkt, wie hysterisch sie klingt. »Aber ich möchte auf keinen Fall, dass du da in etwas reingerätst, das dir über den Kopf wächst, Lissie. Dafür mag ich dich viel zu gern.«
Mir schießen die Tränen in die Augen. Niemand außer Papa hat sich je um mich Sorgen gemacht. Gleichzeitig schäme ich mich so maßlos, muss schluchzen, und weil die Situation so völlig wahnsinnig ist, muss ich auch kichern und heraus kommt eine groteske Mischung aus beidem. Bernadette und Brigitte sehen sich betroffen an. Brigitte holt ein ungebleichtes Taschentuch aus ihrer Hosentasche und reicht es mir. »Ich wollte dich nicht kränken«, sagt sie bestürzt. »Aber sieh dich vor! Nimm dich wichtig! Lass niemals zu, dass du in der zweiten Reihe stehst!« »Aber da sieht man doch besser!«, grinst Bernadette und legt einen Finger an ihr Auge. Sie lacht mir wieder aufmunternd zu. »Hey, Lissie, wenn du lieber nicht darüber reden willst, okay.« Sie deutet mit dem Kopf zu ihrer Mutter. Mir wird übel. Bernadette glaubt, dass ich ihr die wirklich spannenden Details erzähle, wenn Brigitte erst weg ist. Ich halte das Taschentuch weiter vor mein Gesicht, als könnte der dünne Stoff verhindern, dass ich den Tatsachen endlich ins Gesicht sehen muss. Mir ist nicht mehr nach Kichern, nur noch nach hemmungslosem Schluchzen. Das hast du dir selbst eingebrockt, denke ich, jetzt reiß dich zusammen! Wenn du etwas ändern willst, dann tu es. Alles andere ist Heuchelei! Bernadettes Mutter tätschelt meinen Rücken. »Lissie, wenn dir das so an die Nieren geht, dann überleg doch einfach mal, ob er das wirklich wert ist?« Ich stehe auf. Keine Sekunde länger kann ich ihre freundlich besorgte Anteilnahme aushalten. »Entschuldigt mich bitte einen Augenblick«, quetsche ich gerade noch raus, dann flüchte ich aufs Klo. Als ich dort in den Spiegel mit dem dicken vergoldeten Rah men blicke und mein rotes, völlig verquollenes Gesicht anschaue, frage ich mich, was für eine Art Mensch ich geworden bin. Ich darf bei meiner besten Freundin Bernadette für eine lächerlich geringe Miete wohnen, was wiederum nur der Großzügigkeit ihrer Mutter zu verdanken ist. Ich sitze seelenruhig auf ihrer Terrasse und trinke Eistee, während sie sich um mich Sorgen macht, als wäre ich ihre eigene Tochter. Und wie vergelte ich das alles? Ich verliebe mich in ihren Mann. Ich bin ein mieses, mieses Miststück. Ja, das bin ich. Unvermittelt strecke ich mir die Zunge raus, finde mich lächerlich kindisch, beiße mir auf die Lippen, das ist schon besser, das tut wenigstens weh. »Kai, es ist aus!«, flüstere ich. Nein, das geht nicht. Ich will nicht, dass es aus ist. Aber ich will auch nicht, dass es weitergeht. Ich atme tief durch, streiche meine langen Haare hinter meine Ohren, nehme die Schultern zurück und versuche, mich an die alte Lissie zu erinnern, die vertraute, vernünftige Lissie. »Kai, es ist aus!« Jetzt hört es sich schon viel mehr so an, als ob ich das wirklich wollen würde. »Kai, glaub mir, es ist besser so.« Ja, genau das muss ich zu ihm sagen. Noch heute. Durch die Klotür hindurch höre ich, wie sich Brigitte von ihrer Tochter mit einem Küsschen verabschiedet. »Lernt schön für die Bioarbeit!«, ermahnt sie Bernadette noch, dann klappt die Tür ins Schloss. Eigentlich hätte ich erwartet, dass Bernadette sofort an die Klotür kommt, aber draußen ist nichts zu hören. Ich schaufele mir kaltes Wasser ins Gesicht und sage immer wieder vor mich hin: »Es muss ein Ende haben. Kai, es ist aus , aus, aus. « Dann trockne ich mein Gesicht ab, was mich daran erinnert , wie ich das letzte Mal mit Kai zusammen geduscht habe un d er mich langsam und liebevoll abgetrocknet hat . Lissie ! Noch eine große Handvoll kalten Wassers . Es muss aus sein . Denk an die schlechten Filme! Denk an die Tussis, die nicht s Besseres zu tun haben, als irgendeinem blöden Typen nachzulaufen, ohne Sinn und Verstand . Du bist klüger, Lissie . Brigitte hat recht. Ich muss mich endlich wichtig nehmen . Ein letztes Mal wische ich mir über die Augen, dann verlass e ich die Toilette . Von Bernadette ist weder in der Küche noch auf der Terrass e etwas zu sehen. Ich laufe in mein Zimmer zum Telefon, vielleicht erwische ich Kai am Handy, aber an der Tür bleibe ic h stehen. Bernadette beugt sich über meinen Schreibtisch . »Was machst du denn da?«, frage ich irritiert . Sie sieht nachlässig hoch.
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