Prinzentod
mir. »Deine Mutter macht sich schreckliche Sorgen und du zitierst Schiller und willst Sekt trinken? Geht’s noch? Schämst du dich gar nicht?« Ich merke, dass ich Tränen in den Augen habe und mich alle entgeistert anstarren. Ich muss etwas sagen, um von mir abzulenken. »Wenn mein Vater verschwunden wäre, dann würde ich mir wahnsinnige Sorgen machen!« »Unser Vater ist schon lange verschwunden «, schnappt Violetta, dreht sich um und marschiert mit wehenden Röcken aus der Wohnung. Brigitte steht auf. »Ich rufe jetzt die Polizei an. Mir egal, ob die mich für hysterisch halten. Aber vorher gehe ich noch runter und schaue, ob er sich vielleicht in der Zwischenzeit gemeldet hat.« Sie bleibt bei Bernadette stehen und tätschelt ihren Arm. »Es tut mir leid, Süße, ich habe keine Ahnung, was da über mich gekommen ist. Ich werde es wiedergutmachen. Versprochen, ja?« Bernadette sagt nichts, zuckt nur mit den Schultern. Als die Tür hinter ihrer Mutter ins Schloss fällt, lässt sie sich in einen Stuhl sinken. »Oh Mann, der Tag fängt ja super an.« »Was habt ihr eigentlich alle gegen Kai?«, frage ich noch einmal.
Bernadette verdreht die Augen. »Ich mag ihn einfach nicht besonders. Er hat sich nie groß um uns gekümmert und ich habe immer das Gefühl gehabt, dass er Mama nur wegen ihres Geldes geheiratet hat. Kai sabbert jede Frau an, die nicht bei drei auf dem Baum ist. Das tut mir einfach leid für Mama.« »Aber . . .«, beinahe wäre mir rausgerutscht, dass ich Kai ganz anders erlebt habe. »Was aber?« »Ich finde ihn nett.« »Ja, klar ist er ganz nett. Aber er ist auch nicht dein Stiefvater. Wie fändest du es denn, wenn dein Vater zum Beispiel mit mir rummachen würde?« Ich spüre, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht. Doch bevor ich darauf antworten kann, fragt Bernadette mit verschwörerischer Stimme: »Sag mal, hast du schon mal so eine Voodoo-Puppe gebastelt und jemanden verflucht?« Sie kichert plötzlich. »Du weißt schon. Man sticht Nadeln in eine Wachspuppe, denkt an jemanden und wünscht sich, dass ihm etwas passiert? Dass er beispielsweise... verschwindet?« Ihre goldenen Haare leuchten im Morgenlicht auf und ihr pausbäckiges Gesicht sieht so engelhaft aus, dass ich nicht fassen kann, wie sie so etwas Boshaftes sagen kann. »Hast du das etwa mit Kai –?« Bernadette grinst immer noch. »Ich weiß, es war kindisch. Aber es hat irgendwie Spaß gemacht. Am Anfang habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass er sich vom Acker macht, und zwar endgültig.« »Aber das ist noch lange kein Grund, eine Voodoo-Puppe zu basteln!« Bernadette schaut mich merkwürdig an. »Ich erzähl’s dir nur ungern, aber er hat sich einmal an Vios Freundin rangemacht und Mama hat tierisch gelitten. Sie hat von Anfang an Angst gehabt, dass er sie irgendwann zu alt und zu unattraktiv findet.« »Weswegen du seine Voodoopuppe mit Nadeln attackierst?« Ich kapiere es immer noch nicht. So kenne ich Bernadette gar nicht. Sie muss mir meinen Ekel angesehen haben, denn sie verteidigt sich aufgebracht. »Hey, es war kindisch, hab ich ja schon gesagt. Und es ist doch sowieso nur ein dummer Aberglaube. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Kai wegen der Sache mit der Voodoopuppe verschwunden ist?« Ich schüttele verstört den Kopf. »Außerdem«, ereifert sich Bernadette weiter. »Wie würdest du es finden, wenn dein Vater wieder heiratet, noch dazu eine viel jüngere Frau, die nichts Besseres zu tun hat, als ständig Typen anzubaggern?« »Ich weiß nicht...« Du weißt so vieles nicht, höhnt da eine Stimme in meinem Hinterkopf. Wie kommst du eigentlich dazu, deine beste Freundin für so etwas zu verachten? Ausgerechnet du? Ich stehe spontan auf und umarme Bernadette. »Es tut mir so leid«, flüstere ich und meine all das, was sie nicht weiß. Sie lacht schon wieder, ihre Wut ist einfach verflogen. »Schon gut. Glaub mir, ich mach so etwas ja nicht andauernd.« Ich lasse Bernadette wieder los. »Nicht andauernd«, klingt merkwürdig. Sie schaut auf die Uhr. »Scheiße«, flucht sie. »Wir kommen zu spät zur Schule!« Sie rast in ihr Zimmer, während ich mich ins Bad flüchte. Ich kann das hier keine Sekunde länger aushalten, ich muss al lein sein, dieses taube Gefühl aus meinem Kopf bekommen und endlich darüber nachdenken, was mit Kai passiert sein kann. Ich streife mein Schlafshirt ab und stelle mich unter die Dusche. Das Wasser prasselt auf meine Haut, der Dampf umhüllt mich und langsam lässt der
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