Prinzentod
muss etwas bedeuten. Und wenn sie davon wüssten, würden sie Brigitte vielleicht nicht mehr für hysterisch halten. Ich will mich gerade umdrehen, um die Treppe hinunterzulaufen, vielleicht erwische ich die beiden draußen noch, da wird plötzlich die Tür von innen aufgerissen. »Warum stehst du denn hier draußen?«, fragt Bernadette und leckt hingebungsvoll an einem Magnum-Eis. »Mir ist so komisch.« Und das stimmt auch. »Mama geht’s auch schlecht. Die Polizei war da, aber sie sagen, dass sie erst einmal nichts unternehmen.« »Das ist ja schrecklich.«
Bernadette zuckt mit den Schultern. »Ihr macht euch alle umsonst verrückt. Er wird schon wieder auftauchen. Willst du auch ein Eis? Ich war einkaufen.« Ich will mir gerade eine Ausrede einfallen lassen, eigentlich müsste ich langsam Übung darin haben, aber da höre ich von unten eilige Schritte und gleich darauf ist Brigitte bei uns angelangt. Ihre roten Fransen wirken wie angefroren über ihrem versteinerten Gesicht. »Eben kam ein Anruf. Man hat sein Auto gefunden, gar nicht weit von hier.« »Wo?«, frage ich mitten in Brigittes Ausführungen hinein. Aber sie lässt sich nicht unterbrechen. »Aufgebrochen und alles, was nicht niet-und nagelfest war, haben sie gestohlen, Radio, iPod...« »Wo denn?« Ich muss mir fast auf die Zunge beißen, um nicht »Verdammt noch mal« zu schreien. Wo denn, verdammt noch mal!
Brigitte starrt mich an. »Gar nicht weit von hier, oben auf der Schwanthalerhöhe auf dem Lidlparkplatz.« Bernadette zieht ihre Mutter in die Wohnung. »Komm, Mama, setz dich erst einmal hin«, sagt sie energisch. Sie führt sie zum nächsten Stuhl, der im Flur steht. Aufseufzend lässt sich Brigitte hineinfallen. »Jedenfalls suchen sie jetzt endlich nach ihm«, erklärt sie dann. »Gut.« Was rede ich denn da. Gut? Wenn sein Auto immer noch in der Nähe der Wohnung ist, dann muss ich jetzt dorthin. Sofort. Ich stehe noch im Hausflur. »Entschuldigt, aber ich muss zurück in die Schule. Sie haben mir heute mein Rad demoliert, ich muss mich darum kümmern.« Das klingt selbst in meinen Ohren lahm, aber ich kann es nicht ändern. »Klar, dann bis später.« Bernadette gibt mir ein nach Schokolade riechendes Küsschen auf die Wange.
Ich nehme meine Tasche und renne geradezu die Treppen runter. Das Polizeiauto vor dem Haus ist verschwunden, aber das ist jetzt auch egal, denn ich weiß nun, was ich tun muss. Ich stürme über die Theresienwiese und laufe, so schnell ich kann, bis ich zwanzig Minuten später auf der Schwanthalerhöhe bin. Völlig außer Atem erreiche ich die Wohnung in der Westendstraße. Tatsächlich steht Kais Auto auf dem Parkplatz, es ist nicht zu übersehen, denn die Polizei hat es mit markierten Bändern abgesperrt und Menschen in weißen Anzügen untersuchen es. Niemand beachtet mich, als ich die Treppen zum Apartment hochschleiche, was eigentlich völlig unnötig ist, denn in diesem Haus interessiert sich sowieso niemand für seine Nachbarn. Ich nehme den Schlüssel aus dem Plastik-Blumenkranz an der Tür und betrete die kalte Wohnung mit zitternden Knien. Sie kommt mir noch viel kälter vor als sonst, vielleicht weil ich vom Laufen so erhitzt bin, aber ich zittere nicht nur vor Kälte, sondern aus Angst vor dem, was ich finden könnte. Der vertraute Schimmelgeruch tröstet mich etwas. Ich habe gar nicht gewusst, dass ich mit etwas anderem gerechnet habe. Mit Blut? »Hilf mir«, hat er gesagt. Ich durchquere den Flur zum Wohnzimmer, schiele vorsichtig in die Wohnküche. Nichts. Doch da, auf dem Tisch liegt Kais Timer, ohne den geht er nirgendwohin. Ich werfe den Schlüssel auf den Tisch, renne ins Schlafzimmer, aber auch dort ist niemand. Das Bad! Ich denke nicht nach, ich halte nicht einmal inne, sondern
stürze nur quer durch das Zimmer und reiße die Badezimmertür auf . Und was ich dort sehe, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren .
Er ist nackt, seine Knie hängen über dem Badewannenrand , sein Oberkörper liegt am Boden, den Kopf direkt unter de m altmodischen Heizkörper, der gegenüber der Badewanne a n der Wand hängt. Auf seiner nackten Brust liegt die Stange , an der der Duschvorhang befestigt war. Wie eine grotesk e Decke liegt der blaue, halb durchsichtige Plastikduschvorhang mit den Fischen über seine Beine gebreitet . Ich stolpere über einen Kleiderhaufen zu ihm hin, sinke neben ihm in die Knie und fasse seine Hand. Sie ist kalt, seh r kalt . Ich drücke seine steife Hand an mein Gesicht, obwohl mi
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