Prinzentod
dem Kimono aufs Bett. Und es tut mir so unendlich leid, dass er nie mehr lachen wird, dass er nie mehr sagen wird, Lissie, meine süße Lissisisi. Auf einmal schäme ich mich nicht mehr, denn mir wird klar, dass ich ihn wirklich geliebt habe und er mich. Ich denke daran, wie Familie Keilmann dort unten um ihren düstren Esstisch sitzt, und die ganze Szenerie kommt mir völlig unwirklich vor: Violettas Ausbruch, Bernadettes verstocktes Gesicht, Nicos höhnische Fragen. Keines seiner Stiefkinder hat Kai gemocht, ja, sie haben ihn sogar gehasst. Statt zu trauern haben sie sich um ihre Mutter geschart, als hätten sie etwas zu verbergen. Und selbst die wirkte so ruhig und gelassen, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Ich denke daran, dass die Polizei untersucht, ob der Tod wirklich ein Unfall war. Fremdeinwirkung war das Wort, das Brigitte benutzt hat. Fest steht, dass jemand außer mir von seinem Tod gewusst hat, ohne ihn der Polizei gemeldet zu haben, derjenige nämlich, der in der Wohnung war und Kais Handy an sich genommen hat. Aber bedeutet das zwangsläufig, dass dieser Jemand auch mit seinem Tod etwas zu tun hat? Auch ich bin nicht zur Polizei gegangen. Ich muss endlich mit Papa reden. Er würde wissen, was ich jetzt tun muss. Plötzlich fällt mir etwas ein. Vielleicht hat er mir gemailt? Ich laufe zu meinem Schreibtisch hinüber und schalte meinen Laptop ein. Jede Menge Spam, aber nichts von Papa. Verdammt! Er hat mir gesagt, dass es manchmal, wenn das Schiff in einen Sturm gerät, passieren kann, dass die Verbindung unterbro chen ist. In einem Notfall soll ich mich auf der Stelle bei Non - na melden, hat er mir eingeschärft. Aber das ist unmöglich ! Ich liebe Nonna und es würde sie umbringen, wenn sie wüsste , was ich getan habe. Sie ist schon achtzig Jahre alt und glaubt , dass die Ehe heilig ist und man einen Mann nur dann küsse n darf, wenn es der eigene ist. Nein, wenn jemand nie, nie, ni e erfahren darf, was ich getan habe, dann ist das Nonna . Mechanisch mache ich mich daran, die Spam-Mails zu löschen, doch da bleibt mein Blick auf einer Betreffzeile hängen . »Das Böse hat ein neues Gewand« steht dort geschrieben . Ich spüre, wie mir eiskalt wird. Das rosafarbene winzig e Shirt, das in meinem Kleiderschrank gelegen hat ! Wie hypnotisiert starre ich auf den Absender: Zara Zapp – e s klingt genauso wie die lächerlichen Absender der andere n Spam-Mails . Meine Finger wandern wie von selbst auf das Touchpad. Ic h klicke auf die Mail. Zwei Anhänge . Anhang eins: Make Love . Meine Hand zittert, ich kriege den Cursor kaum auf die Anhänge und klicke dann endlich doch . »Make Love« zeigt ein Bild von Kai und mir, wie wir uns leidenschaftlich küssen, an der Tür zum Badezimmer . »Not War« zeigt wieder Kai . Diesmal liegt er tot im gleichen Badezimmer . Dieses Bild hat auch eine Bildunterschrift: »Sei Du imme r schön vorsichtig! « Alles verschwimmt vor meinen Augen, mein Hals zieht sic h zusammen, es würgt mich wieder. Ich muss das löschen, sofort löschen, endgültig löschen . Am liebsten würde ich gleich danach auch noch den Lapto p aus dem Fenster werfen, so besudelt kommt er mir vor .
Doch ich rühre mich nicht. Ich sehe das fremde Top vor mir , das ich im Kleiderschrank gefunden hab . Ich sehe den Schlüssel, der in der Wohnungstür steckt . Ich blicke auf die Anhänge . Ich denke an die Menschen, die dort unten im Wohnzimme r sitzen. Brigitte, Bernadette, Nico, Violetta . Und ich weiß, dass ich mir nichts mehr vormachen kann .
14. Blog
Unfälle werden dem Universum angerechnet oder dem Schicksal oder Gott, wem auch immer man die Verantwortung dafür in die Schuhe schieben mag. Und kann es sein, dass das Schicksal korrigiert, was zu korrigieren ist? Unter Umständen stand er schon längst auf Gottes Todesliste. Als Strafe für das Herumhuren mit Teenagern. Wie oft wünsche ich mir, ich könnte rauschhaft vergessen, wie Kai es immer konnte. Einfach darüber hinweggehen. Andererseits beraubt das Rauschhafte, trennt, was zusammengehört, führt gerade dann in die Einsamkeit, wenn doch Zweisamkeit herrschen soll. Und das kann nicht gut sein, oder? Fragt Z
15. Kapitel
D as Geräusch der Wohnungstür reißt mich wieder aus meinen Gedanken. Ich liege hier seit Stunden im Dunkeln in Kai s Kimono gewickelt und versuche zu verstehen, was passier t ist. Eines immerhin ist mir während dieses elendig lange n Tages ganz klar geworden: Ich muss doch zur Polizei gehen , ganz egal,
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